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P. Sven Conrad FSSP erörtert in diesem Beitrag die Entstehungsgeschichte der Priesterbruderschaft St. Petrus, vor allem die kirchliche und gesellschaftliche Lage der letzten Jahrzehnte, die zur Gründung der Piusbruderschaft führte. Der folgende Artikel ist der im Jahr 1998 veröffentlichten Sondernummer des Informationsblatts der Priesterbruderschaft St. Petrus entnommen.
 

Zeit der Krise in Kirche und Welt

In einer Predigt Mitte der 80er Jahre gab der damalige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Joseph Kardinal Höffner, folgende Beschreibung unserer Zeit: „Wir haben die Entwicklung der letzten Jahrzehnte miterlebt: den hoffnungsfrohen Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils. Und dann: den verhängnisvollen Traditionsbruch, die Kulturrevolution Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Eine schwere Lebenskrise ist über unser Volk gekommen.” [1]
Unzweifelhaft hat sich diese schwere Krise auch im Leben der Kirche bemerkbar gemacht. Offensichtlich wurde von vielen die Erneuerungsbewegung des II. Vatikanischen Konzils (1962-65) als ein Startsignal empfunden, die Kirche dadurch umzugestalten, daß man sich der Welt in die Arme warf und überflüssigen Ballast, sprich die alten, verstaubten Dogmen über Bord warf. Der Theologe und  spätere Kardinal Henry de Lubac SJ, schrieb bereits im Jahre 1965 in einem Brief:
„Heute sind viele Gläubige und sogar Priester (die Ordensleute nicht ausgenommen) versucht, sich ‘der Welt in der Art zu öffnen’, daß sie sich von ihr vereinnehmen lassen; sie sind versucht, die Perspektiven des christlichen Glaubens allmählich aufzugeben, um sich nur noch für diese gegenwärtige, zeitliche Welt zu interessieren.” [2]
Die Folge dieser Entwicklung war ein Einbruch des kirchlichen Lebens von großer Tragweite. Unzählige Geistliche gaben ihr Amt auf, mancherorts wurden die Kirchen zusehends leerer.
Der Kirchenhistoriker Joseph Lortz spricht von einer „lebensbedrohenden Krise” der Kirche. In Bezug auf die Glaubensverkündigung stellt er fest: über zentrale Glaubensartikel hätten sich „Fehldeutungen oder Unklarheiten auf breiter Front in der Literatur, der Predigt und der Katechese durchgesetzt.” [3]  Papst Paul VI. äußerte am 29. Juni 1972 sogar die erschütternden Worte: „Wir haben den Eindruck, daß der Rauch Satans durch irgendeinen Riß in den Tempel Gottes eingedrungen ist.” [4]  Die im Zuge der 68er Bewegung auch in das kirchliche Leben eingedrungene Krise der Autorität verunmöglichte ein gezieltes Gegensteuern.
 

Fehlentwicklungen in der Theologie

Die Krise des kirchlichen Lebens also ging zunächst von einer falsch verstandenen Öffnung zur Welt, einem falsch verstandenen theologischen Studium aus, das sich immer wieder auf den „Geist des Konzils” berief. Diesen „Geist des Konzils” hat kein Geringerer als Josef Kardinal Ratzinger als einen wahren „Ungeist” bezeichnet und ihn folgendermaßen beschrieben: „Nach diesem Konzils-Ungeist wäre alles, was ‘neu’ ist (oder angeblich neu ist; denn wie viele alte Häresien sind in diesen Jahren wieder aufgetaucht, die als Neuheit ausgegeben wurden!), immer und in jedem Fall besser als das, was gewesen ist oder was ist. Es ist der Ungeist, der die Kirchengeschichte erst mit dem II. Vatikanum als einer Art Nullpunkt beginnen läßt.” [5]
 

Die Feier der Liturgie - Manifestation der Krise

Sichtbaren Ausdruck fand die Lebenskrise der Kirche in deren wichtigstem Lebensvollzug, der Feier der heiligen Liturgie. Zwischen Theologie und Liturgie besteht ein sehr enger Zusammenhang. In einer wohl auf  Prosper von Aquitanien zurückgehenden Formulierung wird das Verhältnis beider zueinander mit den Worten beschrieben: „ut legem credendi lex statuat supplicandi” [6] („...damit das Gesetz des Betens das Gesetz des Glaubens bestimme”)  Dieser Satz ist wechselseitig zu verstehen und  bedeutet – vereinfacht gesagt: „So wie ich glaube, so bete ich, und die Form und der Inhalt meines Betens andererseits hat wiederum eine Wirkung, einen Einfluß auf meinen Glauben.”
Durch die Promulgation des Novus Ordo Missae im Jahre 1969 wurde die bis dahin gefeierte traditionelle Meßliturgie der Kirche durch einen neuen Ritus ersetzt, nachdem bereits im Jahre 1965 eine erste Änderung erfolgt war. Als unverdächtiges Zeugnis der Tragweite dieser Änderungen sei ein Zitat von P. Joseph Gelineau angeführt, der als Liturgiefachmann am Konzil teilgenommen hatte: „Laßt diejenigen, die wie ich eine lateinisch-gregorianische Messe gesungen haben, sich je nach ihrem Erinnerungsvermögen daran zurückdenken. Laßt sie sie mit der Messe vergleichen, die wir jetzt haben. Nicht nur die Worte, die Melodien und einige der Gesten sind anders. Um die Wahrheit zu sagen, handelt es sich um eine neue Liturgie der Messe. Der römische Ritus, wie wir ihn kannten, existiert nicht mehr. Er ist zerstört.” [7] In diesem Zusammenhang sagt Kardinal Ratzinger: „Ich bin überzeugt, daß die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht, die mitunter sogar so konzipiert wird, ‘etsi Deus non daretur’: daß es in ihr gar nicht mehr darauf ankommt, ob es Gott gibt und ob er uns anredet und erhört.” [8] Sicherlich gibt es viele Gottesdienste, die auch nach dem neuen Meßritus würdig gefeiert werden, aber daneben läßt sich eben nicht selten ein „Bruch im grundlegenden liturgischen Bewußtsein” [9]  feststellen.


Die Priesterbruderschaft St. Pius X.

Gegen Ende der 70er Jahre drängten – besorgt durch all diese Entwicklungen – Priester und Priesteramtskandidaten den emeritierten Bischof von Tulle, Erzbischof Marcel Lefebvre, der als Generaloberer der Väter vom Hl. Geist selbst am II. Vatikanischen Konzil teilgenommen und dessen Beschlüsse mitunterzeichnet hatte, eine Gemeinschaft von Priestern ins Leben zu rufen. Diese sollte eine gute Priesterausbildung gewährleisten und ein fruchtbares Apostolat aus dem Geist der traditionellen Glaubenslehre und Liturgie heraus aufbauen. So gründete er 1970 mit Erlaubnis von Msgr. Charrier, dem Bischof von „Genf, Freiburg und Lausanne”, die Priesterbuderschaft St. Pius X.

Langsamer Weg in die Illegalität
Bald schon wurde eine Kampagne gegen dieses Werk  entfesselt, als deren Ergebnis man ihm  schließlich die kirchliche Approbation entzog. Der Bischof von „Genf, Freiburg und Lausanne” löste am 6. Mai 1975 die Gemeinschaft wieder auf, beging dabei aber einen Formfehler, weshalb Msgr. Lefebvre nicht gehorchte. Schließlich wurde der Erzbischof 1976 suspendiert. Allerdings konnte ihn diese ‘suspensio a divinis’ – das Verbot, irgendwelche bischöflichen und sogar priesterlichen Handlungen vorzunehmen –  nicht von seinem Tun abhalten. Er setze seine Tätigkeit fort, und sein Werk wuchs stetig.
Im Leben der Kirche wurde somit die Autoritätskrise plötzlich auf zwei Seiten sichtbar: Die Vertreter der anfangs erwähnten neuen theologischen Richtungen postulierten eine mehr oder weniger weitgehende Demokratisierung der Kirche und stellten somit die Autorität selbst mehr oder weniger deutlich in Frage. Diejenigen aber, die sich unter dem Namen „Traditionalisten” zu sammeln begannen, verwahrten sich gegen das, was sie als Mißbrauch einer prinzipiell anerkannten Autorität festzustellen glaubten.

Schritte zur Versöhnung
Im Jahre 1987 wurden von Seiten Roms wichtige Schritte eingeleitet, das Werk Msgr. Lefebvres kirchlich zu prüfen. Die kanonische Visitation durch Eduard Kardinal Gagnon und Msgr. Perl hatte letztlich eine Legalisierung der Priesterbruderschaft St. Pius X. zum Ziel. Alle diese Bemühungen führten schließlich zu einer schriftlichen Vereinbarung vom 5. Mai 1988, mit deren Hilfe die Priesterbruderschaft St. Pius X. durch weitgehende Zugeständnisse ins kirchliche Leben eingegliedert werden sollte.

„Et unam sanctam Ecclesiam” – der Bruch mit Rom
Leider zieht Erzbischof Lefebvre bereits am folgenden Tag seine Unterschrift und damit seine Zustimmung zu dieser Einigung zurück. Am 30. Juni 1988 weiht er in Ecône (Schweiz) vier Priester der von ihm gegründeten Gemeinschaft gegen das ausdrückliche, ihm vorliegende Verbot des Apostolischen Stuhles gemeinsam mit Bischof Antonio de Castro-Mayer (emeritierter Bischof von Campos/ Brasilien) zu Bischöfen. Als Reaktion auf diese Weihen gibt der Hl. Stuhl noch am selben Tag die nach geltendem Kirchenrecht mit der Spendung der Weihen automatisch erfolgte Exkommunikation der Weihespender und Empfänger bekannt. Im Motu proprio ‘Ecclesia Dei’ vom 2. Juli 1988 werden diese Weihen nicht nur als bloßer Ungehorsam (nach can. 1382 des CIC), sondern ausdrücklich als schismatischer Akt charakterisiert. Tragischerweise hatte sich im Denken der Mitglieder der Priesterbruderschaft St. Pius X., wie auch der Theologen, die dieser Gemeinschaft nahestehen, eine Auffassung entwickelt, die im Prinzip einen falschen Begriff kirchlicher Tradition beinhaltet.

Wenn man von der Tradition spricht, dann muß man stets die göttliche und die rein kirchliche Tradition unterscheiden. Die göttliche Tradition ist niemals veränderbar, rein kirchliche Traditionen können prinzipiell in manchen Teilen geändert werden. Dies bringen in Bezug auf die hl. Liturgie folgende Sätze des II. Vatikanums zum Ausdruck: „Denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind. Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht, oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben.” [10] 
Selbst wenn die Autorität eine zwar altehrwürdige, aber rein kirchliche Tradition ändern würde, dann darf man dies zwar bedauern, aber die Autorität verliert damit in keiner Hinsicht ihre gottgegebene Legitimität. In diesem Sinne darf man also nicht die Tradition der Kirche gegen das gegenwärtig amtierende Lehr- und Hirtenamt ausspielen, um eine Begründung zu haben, mit dem Lehr- und Hirtenamt brechen zu dürfen. Das meint das Motu Proprio „Ecclesia Dei”, wenn es zum  Traditionsbegriff feststellt: „Als Wurzel dieser schismatischen Tat läßt sich ein unvollständiger und widersprüchlicher Begriff der Tradition erkennen: unvollständig, da er den lebendigen Charakter der Tradition nicht genug berücksichtigt, die, wie das Zweite Vatikanische Konzil sehr klar lehrt, von den Aposteln überliefert .... unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt: es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen, durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, wie auch durch die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das Charisma der Wahrheit empfangen haben.
Vor allem aber ist ein Traditionsbegriff unzutreffend und widersprüchlich, der sich dem universalen Lehramt der Kirche widersetzt, das dem Bischof von Rom und dem Kollegium der Bischöfe zukommt. Denn niemand kann der Tradition treu bleiben, der die Bande zerschneidet, die ihn an jenen binden, dem Christus selbst in der Person des Apostels Petrus den Dienst an der Einheit in seiner Kirche anvertraute.” [11] Die Vertreter der Bewegung Msgr. Lefebvres unterstellen dem Papst, selbst mit der Tradition gebrochen zu haben. An dieser Haltung hat sich im Übrigen bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Konnte man doch noch im „Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft St. Pius X.“ vom September 1998 einen Artikel des frz. Distriktsoberen dieser Gemeinschaft finden, der von der geforderten „Rückkehr Roms zur katholischen Tradition” spricht.
Solches Denken war und ist die Frucht einer Umgangsform mit der kirchlichen Autorität, die sich in den Reihen der Priesterbruderschaft St. Pius X. schon längere Zeit vor den Bischofsweihen einzustellen begann, einer Umgangsform, die sachliche und berechtigte Kritik mehr und mehr durch lieblose und zermürbende Propaganda ersetzt hat.  


Wagnis im Glauben: die Antwort der Kirche

Einige Priester und Seminaristen der Priesterbruderschaft St. Pius X. wollten den Schritt der Trennung von Rom nicht mitvollziehen, gleichzeitig aber – wenn nur irgendwie möglich – der überlieferten Liturgie treu bleiben. Sie hatten mit der Trennung von ihrer Gemeinschaft einen Schritt ins Ungewisse vollzogen und standen vor dem Nichts! Aus Liebe zur Einheit der Kirche waren sie bereit, all jene menschliche Sicherheit aufzugeben, die ihnen ihre frühere Gemeinschaft geschenkt hatte, im Vertrauen, daß die Vorsehung sie nicht im Stich lassen werde. Diese Priester und Seminaristen vereinbarten, sich zunächst bei einem befreundeten Priester zu treffen, um alles weitere zu überlegen. Gerade als sie sich trafen, um über die Zukunft zu beratschlagen, erreichte sie die Nachricht von der Promulgation des bereits erwähnten Motu Proprio „Ecclesia Dei”. Hierin fand sich auch der für ihr weiteres Bemühen entscheidende Satz: „All jenen katholischen Gläubigen, die sich an einige frühere Formen in der Liturgie und Disziplin der lateinischen Tradition gebunden fühlen, möchte ich auch meinen Willen kundtun – und wir bitten, daß sich der Wille der Bischöfe und all jener, die in der Kirche das Hirtenamt ausüben, dem meinen anschließen möge – es ihnen leicht zu machen, in die kirchliche Gemeinschaft zurückzukehren, durch die notwendigen Maßnahmen, welche die Berücksichtigung ihrer gerechtfertigten Wünsche sicherstellen.” [12]
Erstmals – nach über zwei Jahrzehnten – hat die höchste Autorität der Kirche von den „gerechtfertigten Wünschen” jener gesprochen, die ihr Glaubensleben aus dem Geist der traditionellen Liturgie heraus gestalten wollen! Somit ist das Heimatrecht des klassischen Meßritus in der Kirche von höchster Stelle eindeutig bestätigt worden.


Die Priesterbruderschaft St. Petrus: ein Werk der Kirche

Auf der Grundlage dieses päpstlichen Schreibens wurde sodann am 18. Juli 1988 in der Zisterzienserabtei Hauterive (Schweiz, Kanton Freiburg) die Priesterbruderschaft St. Petrus (Fraternitas Sacerdotalis Sancti Petri – FSSP) gegründet und am 18. Oktober 1988 durch den Hl. Stuhl als „Klerikale Gesellschaft Apostolischen Lebens Päpstlichen Rechtes” errichtet. Eine solche Gemeinschaft ist in mancher Hinsicht etwas Ähnliches wie ein Orden, insofern ihre Mitglieder ein Gemeinschaftsleben führen und innerhalb der vielfachen Tätigkeitsgebiete der Kirche eine ganz spezielle Aufgabe und Zielsetzung besonders verfolgen. Andererseits unterscheidet sich eine „Gesellschaft Apostolischen Lebens” aber auch von einem Ordensinstitut darin, daß ihre Mitglieder keine Gelübde ablegen, sondern in einer anderen Form an den kirchlichen Dienst gebunden sind, wie ja auch die Priester einer Diözese, also etwa jeder Pfarrer. Die Mitglieder einer „Gesellschaft Apostolischen Lebens” sind also – vereinfacht gesprochen – ein „Zwischending” zwischen einem Welt- und einem Ordenspriester. Bei der Gründung der neuen Gemeinschaft galt es, für deren Selbstverständnis und das Wirken ihrer Mitglieder all das Gute, das in der Priesterbruderschaft St. Pius X. aufgebaut worden war, zu erhalten: die Treue zum Glauben und zur Liturgie, das Gemeinschaftsleben der Kleriker u.a.  Allerdings mußte man auch viele Fehlentwicklungen dieser Gemeinschaft zu vermeiden suchen: etwa was die grundsätzliche Beurteilung des II. Vatikanums, die Beurteilung der Legitimität des Novus Ordo Missae und die Stellung zur kirchlichen Autorität und zu anderen kirchlichen Gemeinschaften betrifft.


Und das II. Vaticanum?

In Bezug auf die Beurteilung des II. Vatikanischen Konzils waren sich die Gründer der Priesterbruderschaft St. Petrus dessen bewußt, was Kardinal Ratzinger einmal mit folgenden Worten erklärte: „Das Konzil hat nichts Neues zu Glaubendes geschaffen oder gar an die Stelle des Alten gesetzt. Es gehört zum Grundtypus seiner Aussagen, daß es sich als Fortführung und Vertiefung der bisherigen Konzilien versteht, besonders derjenigen von Trient und des Ersten Vatikanischen Konzils. Es geht einzig darum, denselben Glauben unter geänderten Bedingungen möglich zu halten und neu lebendig werden zu lassen” [13]
In diesem Sinne hat sich auch das II. Vaticanum selbst als ein reines Pastoralkonzil verstanden. Als Versammlung sämtlicher Bischöfe unter dem Vorsitz des Papstes sind die Verlautbarungen des Konzils als Stimme des ordentlichen Lehramtes der Kirche zu werten und als solche von jedem Katholiken anzunehmen. Man darf auch nicht darüber hinwegsehen, daß das II. Vatikanische Konzil äußerst tiefe Aussagen über die Glaubensgeheimnisse formuliert hat, man denke etwa an die Dogmatische Konstitution „Lumen Gentium” über die Kirche. Formulierungen, die mißverstanden werden könnten, müssen zunächst im Zusammenhang mit den anderen Texten des Konzils, dann aber auch im Kontext der „analogia fidei”  gesehen werden, also jener Anschauungsweise, mit der man auch scheinbar widersprüchliche Aussagen der Hl. Schrift lesen und verstehen muß. Zum Verhältnis zwischen Konzil und Liturgiereform sei wiederum Kardinal Ratzinger angeführt: „Die Liturgiekonstitution des Konzils hat zwar die Grundlagen für die Reform gelegt; die Reform selbst wurde dann von einem nachkonziliaren Rat gestaltet und kann in ihren konkreten Details nicht einfach auf das Konzil zurückgeführt werden.” [14]
Die weitere Feier der überlieferten Liturgie steht demnach nicht dem Konzil entgegen, vielmehr ist der überlieferte Ritus als ein legitimer Ritus der Kirche zu betrachten, dem nach den Worten desselben Konzils „gleiches Recht und gleiche Ehre” [15] wie den übrigen anerkannten Riten zukommen muß.


„Du bist Petrus, der Fels”

Ganz bewußt wählten die Gründer der Priesterbruderschaft St. Petrus für ihre Gemeinschaft den Namen des Apostelfürsten. Damit wollten sie ihre Treue zum Petrusamt und zum konkreten Inhaber dieses Amtes ausdrücken und zugleich ihr Wirken unter das Patronat dessen stellen, den Christus als ersten zum Felsen der Kirche erwählt hat. So steht die Priesterbruderschaft St. Petrus in vollkommener und sichtbarer Einheit mit dem Heiligen Vater und dem ihm verbundenen Bischofskollegium. Sie versteht sich als von der Kirche gesandt, um mit ihrem spezifischen Charisma beizutragen zur großen Aufgabe unserer Zeit, der Erneuerung der Kirche im Heiligen Geist und der ‘Neuevangelisierung’ im kommenden 3. nachchristlichen Jahrtausend.


Heiligung der Priester mittels der Ausübung ihres Amtes: das Ziel der Gemeinschaft

Aufgabe und Ziel der Gemeinschaft ist nach ihren Konstitutionen die „Heiligung der Priester mittels der Ausübung des Priesteramtes ... durch treue Befolgung der ‘liturgischen und spirituellen Traditionen ’... im Einklang mit den Bestimmungen des Motu Proprio vom 2. Juli 1998, das zu ihrer Gründung geführt hat.” [16] Die Priesterbruderschaft St. Petrus möchte durch ihre Existenz und ihr Wirken zeigen, daß die überlieferte Form der hl. Messe auch heute noch einen Platz im Leben der Kirche hat, daß die Kirche sich in ihrem Wesen nicht ändert und auch Zeiten der Krise sie nicht ihrer Identität zu berauben vermögen.


Tradition, also Rückschritt?

Was aber bedeutet die Besinnung auf die Werte der Tradition der Kirche konkret? Diese Besinnung bedeutet sicher nicht, einfach gewissermaßen das „Rad der Zeit  zurückzudrehen” und dabei eventuell sogar auch in alte Fehler zu fallen. Seelsorge ist in gewisser Hinsicht immer auch zeitgebunden, da sie es mit den Menschen einer ganz speziellen Zeit zu tun hat. In diesem Sinne wollte ja das II. Vatikanische Konzil gerade in seinem pastoralen Anliegen die Seelsorge an die Zeitumstände anpassen und so eine echte Erneuerungsbewegung der Kirche initiieren. Festhalten an den Werten der Tradition in Disziplin und Liturgie bedeutet also nicht etwa die Verabsolutierung einer einzigen Art der Spiritualität oder Glaubensverkündigung oder die Absolutsetzung eines Kunststiles. In seinem Reichtum hat es der Geist, der aus der traditionellen Liturgie spricht, verstanden, sehr verschiedenartige Zeiten und manchmal sogar konträr scheinende Zeitmentalitäten zu inspirieren, denken wir etwa an Epochen wie die Romanik, die Gotik oder den Barock, Epochen mit einer jeweils doch recht unterschiedlichen Akzentuierung in der Geisteshaltung und auch im religiösen Leben. Bei aller Verschiedenheit der Mentalitäten haben diese Zeiten doch das eine große Fundament des Glaubens und den Ruf zur Nachfolge des Herrn bewahrt. In diesem Sinne möge auch unsere Zeit vom Geist der Tradition ihre Prägung und Bereicherung erfahren.


Seelsorge, die den Geist des Glaubens und der Liturgie atmet

Die Priesterbruderschaft St. Petrus will den Gläubigen zu Hilfe kommen, die ihre geistliche Heimat in der klassischen Liturgie gefunden haben, die hier den adäquaten Ausdruck ihres Glaubens sehen und die eine Seelsorge erwarten, die den Geist dieses Glaubens atmet. Dazu will sie zunächst gute, seeleneifrige Priester ausbilden, Priester, die in ihrem Leben nachahmen, was sie auf den Altären vollziehen, das Opfer des Herrn, Seine aus Liebe erfolgte Hingabe zur Ehre Gottes und zum Heil der Welt. Die Gemeinschaft also will Priester ausbilden, die bereit sind, sich einzusetzen für die Überwindung der Krise durch Gebet, Sühne und aufopferungsvolles Apostolat.


Das Studium

Soll die Seelsorge und alles priesterliche Wirken ganz vom Geist des Glaubens und der hl. Liturgie geprägt sein, so muß diesen Geist zunächst das theologische Studium atmen, denn gerade das Studium ist eine wichtige Voraussetzung für ein gutes priesterliches Wirken. Gerade hier gilt es, die Schätze der gesamten Tradition der Kirche gewissermaßen wieder zu erobern und fruchtbar zu machen für die Menschen der heutigen Zeit. Erforderlich ist zunächst eine solide philosophische und theologische Ausbildung, die sich nach den Normen richtet, die das Lehramt der Kirche vorgibt. So läßt sich das theologische Studium in unseren Häusern besonders von der Theologie des hl. Thomas von Aquin herleiten, den die Kirche so oft als „doctor communis” („allgemeinen Lehrer”) der heiligen Wissenschaft empfohlen hat. Diese Vorgaben für das Studium findet man auch in den Texten des II. Vatikanums, wenn es über die Seminaristen sagt, sie sollen „lernen, mit dem heiligen Thomas als Meister, die Heilsgeheimnisse in ihrer Ganzheit spekulativ tiefer zu durchdringen und ihren Zusammenhang zu verstehen, um sie, soweit möglich, zu erhellen.” [17] Weiter, sagt das Konzil, sollen die Priesteramtskandidaten „geschult werden, diese selben Heilsgeheimnisse stets in den liturgischen Handlungen und im gesamten Leben der Kirche gegenwärtig und wirksam zu sehen, und lernen, die Lösung der menschlichen Probleme im Lichte der Offenbarung zu suchen, ihre ewige Wahrheit auf die wandelbare Welt menschlicher Dinge anzuwenden und sie in angepaßter Weise den Menschen unserer Zeit mitzuteilen.” [18]
So gilt es gerade in heutiger Zeit auch, sich wieder in das Denken, den Geist der Kirchenväter zu vertiefen und hieraus zu schöpfen. Wie kaum ein anderes ist doch gerade dieses Denken so sehr geprägt von der Feier der Heilsgeheimnisse in der hl. Liturgie; es verbindet sodann in gewisser Weise das alltägliche Leben mit der Liturgie, die wiederum den Himmel selbst mit der erlösungsbedürftigen Erde vereinigt. „Dank sehr verdienstvoller Arbeiten über die Kirchenväter sind wir seit einigen Jahren imstande, die historische und irdische Verwurzelung des liturgischen Dramas zu erfassen. Man sieht deutlicher, wie die kleinste Zeremonie die Zeit zusammenzieht, wie sie in sich selber die heilige Geschichte zusammenfaßt: Genesis, Exodus und prophetische Literatur mit ihrem Höhepunkt – dem Geheimnis Christi –, wie sie auch das Reich in seiner Vollendungsphase, wo Gott alles in allem sein wird, ankündigt und verwirklicht. Bei der Lektüre der Väter, (... ) wird man unweigerlich feststellen, wie sehr sich die Liturgie der Kirche dem Rhythmus des Universums anpaßt, das selber vergleichbar ist mit einem gewaltigen Tempel, in dem eine ununterbrochene Liturgie gefeiert wird. Die großen Lehrer lehrten also nicht nur die 12 Artikel des Glaubensbekenntnisses, sondern auch, die Welt zu betrachten als ein leuchtendes Gewand Gottes, und die Aufeinanderfolge der Tage als die Abwicklung einer geheiligten Handlung.” [19] 


„Altes und Neues” aus dem Schatz der Kirche Tradition – Fülle und Weite

Die Priesterbruderschaft St. Petrus will – kurz gesagt – in ihrem Wirken mithelfen, die Tradition der Kirche in ihrer befreienden Weite zurückzuerobern als Antwort auf die Engführungen kirchlicher Krise. Ausgehend von der Betrachtung alles Wahren, Guten und Schönen in den Bereichen der Natur und der Gnade soll sich dem Menschen in der Welt von heute wieder der Blick öffnen für den ihn liebenden Gott, für das Christusmysterium in seiner ganzen Fülle.


Die Theorie im Alltag: das Leben in den Häusern

Das konkrete Leben in den Häusern der Priesterbruderschaft St. Petrus ist von einem organischen Miteinander gemeinschaftlichen Lebens, individueller Tätigkeit und Persönlichkeitsentfaltung geprägt. Im Mittelpunkt der Spiritualität und des Apostolates steht die Feier des heiligen Meßopfers. Sie ist der Höhepunkt im Leben des Priesters, ist doch das Priestertum selbst wesentlich auf die Feier der hl. Messe hingeordnet. In diesem Sinne sagt auch das II. Vaticanum: „Die Liturgie ist  der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt.” [20]
Getreu den Konstitutionen soll das Meßopfer geistlich und materiell bestmöglich vorbereitet werden. Wie der Herr sich vom Kreuze aus die hl. Kirche erworben hat, so soll der Priester aus der Mitte des Tagewerkes heraus, aus dem Vollzug der hl. Messe, mit seinen bescheidenen Kräften beharrlich mitwirken, die Kirche zu erbauen. Eine besondere Eigenart unseres Lebensstiles ist die ‘Vita communis’, das gemeinschaftliche Leben der Geistlichen, das die Kirche ja so oft ihrem Klerus empfohlen hat.  Normalerweise besteht also eine Niederlassung immer aus mehreren Klerikern. Der äußere Rahmen für das Gemeinschaftsleben wird durch drei über den Tag verteilte Gebetszeiten gegeben, bevorzugt aus dem Stundengebet der Kirche. Dieses gemeinsame Gebet ist lebendiger Ausdruck des Bewußtseins, daß alles Apostolat letztlich vom Herrn ausgeht und nur in seiner Kraft getragen werden kann. In besonderer Weise sind diesem täglichen Gebet der Hausgemeinschaft all die Anliegen der anvertrauten Gläubigen anempfohlen. Ein weiterer Rahmen der ‘Vita communis’ besteht in den Hauptmahlzeiten, die – wenn möglich – gemeinsam eingenommen werden. Besonders hier besteht eine gute Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch, soll doch gerade in dieser nicht einfachen Zeit die brüderliche Gemeinschaft dem Einzelnen eine Stütze bieten. Ein gutes Gemeinschaftsleben in den Häusern, getragen durch treue Erfüllung der Pflichten und auch durch erholsame Freude ist einer der Garanten für ein fruchtbares Wirken. Im Dienste der heiligen Kirche und für sie wollen die Mitglieder der Priesterbruderschaft St. Petrus Geistliche sein, die bemüht sind, – um es nach einem Wort Kardinal Ratzingers zu sagen – „die Dimension des Heiligen in der Liturgie zurückzuerobern,” [21] die aber auch bemüht sind, allen anderen Klerikern gute Mitbrüder zu sein, und den Menschen, die sich ihrem Apostolat anvertrauen durch die Übung natürlicher und übernatürlicher Tugenden sorgfältige Wegbegleiter im religiösen Leben und somit ihren Gemeinden treue Hirten.
 


 
[1]    Joseph Kardinal Höffner, Predigt zur Feier des 100. Geburtstages von P. Joseph Kentenich in Schönstatt
[2]    Henri Kardinal de Lubac, Meine Schriften im Rückblick, Einsiedeln/Freiburg 1996, S. 442
[3]    Georg May, Der Glaube in der nachkonziliaren Kirche, Wien 1983, S. 255
[4]    Der Fels 1972, S. 313
[5]    Joseph Kardinal Ratzinger, Zur Lage des Glaubens, München 1985, S. 32f
[6]    Denzinger - Hünermann 246
[7]    P. Joseph Gelineau, Demain la Liturgie, Paris 1977, S. 460
[8]    Joseph Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben, Stuttgart 1998, S. 174
[9]    Joseph Kardinal Ratzinger, Das Fest des Glaubens, Einsiedeln 1993, S. 75f.
[10]  II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die Heilige Liturgie, Sacrosanctum Concilium, Art. 21
[11]  Papst Johannes Paul II., Motu Proprio Ecclesia Dei, Nr. 4
[12]  Motu Proprio Ecclesia Dei, Nr. 5
[13]  Joseph Kardinal Ratzinger, Das Fest des Glaubens, S. 75
[14]  Joseph Kardinal Ratzinger, Ein neues Lied für den Herrn, Freiburg 1995, S. 169
[15]  Konstitution Sacrosanctum Concilium Art. 4
[16]  Konstitutionen der Priesterbruderschaft St. Petrus, Art. 7f.
[17]  II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester, Optatam totius, Art.16
[18]  ebda
[19]  Dom Gérard Calvet OSB, Die Heilige Liturgie, Éditions Sainte-Madeleine, S. 5
[20]  Konstitution Sacrosanctum Concilium, Art. 10
[21]  Joseph Kardinal Ratzinger, Rede vom 13. Juli 1988 vor den Bischöfen von Chile; wörtlich: „Wir müssen die Dimension des
        Heiligen in der Liturgie zurückerobern”