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Schriftgemäße Wandlungsworte

von P. Bernward Deneke FSSP

Schon längst haben wir uns daran gewöhnt, Zeugen recht eigentümlicher Widersprüchlichkeiten zu werden. Und doch sind wir dann jeweils neu erstaunt, wenn uns wieder einmal Ungereimtes mit einer Sicherheit präsentiert wird, als handelte es sich um die größte Selbstverständlichkeit der Welt. Dafür ein aktuelles Beispiel:

Seit einigen Jahrzehnten erheben Theologen die Forderung, kirchliche Lehrverkündigung und Liturgie seien stärker als früher an der Heiligen Schrift auszurichten. „Biblisch begründet“ und „schriftorientiert“ zu sein, gilt als hohes Gebot, Vernachlässigung der Bibel hingegen oder gar schriftwidrige Argumentation als schwerwiegender Verstoß. So enthalten die lehramtlichen Schreiben der letzten Jahrzehnte im allgemeinen mehr Schriftbezüge als die früheren, der offizielle Katechismus übertrifft seine Vorgänger in puncto Bibelzitate bei weitem, und die neue Leseordnung deckt den „Tisch des Wortes“ (zumindest quantitativ) reicher als die alte.

Wie aber konnte es im Zuge solcher Entwicklungen geschehen, daß man ausgerechnet an ganz zentraler Stelle der heiligen Liturgie vom neutestamentlichen Wortlaut abwich? Es ist hier die Rede von den deutschen und anderen landessprachlichen Ausgaben des Meßbuchs Pauls VI., genauer: von ihrer Wiedergabe der Worte Jesu über den Abendmahlskelch.

Im Gegensatz zum überlieferten römischen Missale und der lateinischen Editio typica des neuen Meßbuchs, in denen es heißt, der Herr vergieße Sein Blut „pro vobis et pro multis – für euch und für viele“, lauten die besagten Worte in der deutschen Meßfeier ja bekanntlich „für euch und für alle“. Und genau das ist weder biblisch begründet noch schriftorientiert!

Im Lukasevangelium spricht Jesus vom Vergießen Seines Blutes „für euch“ (22,20), bei Matthäus (26,28) und Markus (14,24) hingegen heißt es: „für viele“; in der paulinischen Abendmahlsüberlieferung (1 Kor 11,23-25) fehlt eine solche Zuordnung im Zusammenhang mit dem Kelchwort. Die traditionelle liturgische Fassung „für euch und für viele“ verknüpft demnach die Zeugnisse der drei genannten Evangelien miteinander, während das „für euch und für alle“ entweder dem biblischen Text etwas hinzufügt oder einen schlichten Übersetzungsfehler enthält. (Die vom protestantischen Exegeten Joachim Jeremias vorgetragene Rechtfertigung einer Übersetzung von griech. „peri pol-lon“ = lat. „pro multis“ mit „für alle“ konnte längst – nicht zuletzt auch durch P. Franz Prosinger – widerlegt werden.)

Wie also war es möglich, daß ein derartiger Verstoß gegen das biblische Zeugnis Einzug in die Missalien hielt? Das ist die erste Widersprüchlichkeit, der wir im Zusammenhang mit den Konsekrationsworten begegnen. Aber seitdem nun eine Erklärung des Heiligen Stuhls vom 17.11.2006 verlangt, auch in den landessprachlichen Meßbüchern solle es zukünftig wieder heißen „für viele“, begegnen wir einer zweiten, noch bemerkenswerteren Widersprüchlichkeit.

Denn erstaunlicherweise haben sich inzwischen einige namhafte Theologen zu Wort gemeldet und sich gegen diese schriftgemäße Korrektur, gegen den Willen der Kirchenleitung ausgesprochen. Mit der recht konservativ anmutenden Forderung, hier beim Alten zu bleiben und vielleicht sogar – dieser Vorschlag wurde ernsthaft unterbreitet! – die lateinischen Worte den landessprachlichen Übertragungen anzupassen („pro omnibus“ statt „pro multis“), setzen sich diese Theologen nun in einem bisher kaum für möglich gehaltenen Maß dem Vorwurf aus, völlig schriftwidrig das Wort Gottes durch ihre eigenen Vorstellungen zu verdrängen.

Spätestens hier könnte sich aber doch ein Einwand anmelden. So wahr es ist, daß Jesus nach den Abendmahlsberichten niemals von einem Vergießen Seines Blutes „für alle“ spricht, so unbezweifelbar betont das Neue Testament auch, es sei Gottes Wille, „daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“, weshalb sich ja Jesus „selbst als Lösegeld für alle dahingegeben hat“ (1 Tim 2,4ff.). Entspricht es also nicht doch dem biblischen Befund, bei der Wandlung ein hoffnungsvolleres „für alle“ an die Stelle des einschränkenden „für viele“ zu setzen?

Nein. Denn in diesem Punkt müssen wir das Kreuzesopfer Jesu und dessen Vergegenwärtigung im Meßopfer voneinander unterscheiden. Am Kreuz hat Jesus Sein Blut tatsächlich „für alle“ vergossen; Er leistete Sühne für die Vergehen aller Menschen und bot ihnen die Erlösungsgnade an. Im Meßopfer hingegen geht es um die konkrete Zuwendung der Erlösung an diejenigen, die dem „Bund in Seinem Blute“ (vgl. 1 Kor 11,25) angehören. Einem Bund tritt man bekanntlich bei, indem man in seine Konditionen einwilligt. Das haben aber leider nicht alle, sondern „nur“ (aber immerhin) viele getan. Und genau für diese fließt im eucharistischen Opfer Jesu Blut.

Wir wissen, daß eine der einflußreichsten Irrlehren unserer Tage der Heilsoptimismus ist. Dieser behauptet entweder, daß mit Sicherheit alle Menschen gerettet werden (Allerlösungslehre), oder er setzt die Bedingungen für den Eintritt in den Himmel so niedrig, zugleich diejenigen für die schwere Sünde so hoch an, daß der Verlust des ewigen Heils für einen einigermaßen braven Menschen keine ernsthafte Gefahr mehr darstellt. Man muß wirklich kein notorischer Heilspessimist, sondern nur ein halbwegs aufmerksamer Leser der Heiligen Schrift sein, um derartige Auffassungen als fragwürdig einzustufen. Es bleibt jedenfalls ein Geheimnis heilsoptimistischer Theologen, was sie in diesem Punkt mit vielen einschlägigen Bibelstellen machen.

Zugleich aber lichtet sich nun wohl ein wenig das Rätsel der besprochenen Widersprüchlichkeiten, weshalb nämlich manche ansonsten bibelbewußten Kreise geradezu unbeugsam an der Formulierung „für euch und für alle“ festhalten wollen: Die heilsoptimistische Lehre steht ihnen dann doch höher als die vielbeschworene Schriftorientierung!

Wir sollten froh sein, daß sich die römische Kirchenleitung wieder einmal als jene Instanz erwiesen hat, die über die Bibel und ihre rechte Auslegung wacht.