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Veni, sancte Spiritus

Die Sequenz der Pfingstmessen lehrt uns,
wie wir in rechter Weise zum Heiligen Geist beten.

von P. Daniel Eichhorn FSSP

Seraphim von Sarow (1759-1833), der berühmte „Starez“ (Geistlicher Vater) vieler Russen im frühen 19. Jahrhundert wurde einmal gefragt, worin denn eigentlich das letzte Ziel des christlichen Lebens und allen Bemühens bestünde. Seine Antwort ist wegweisend: Es geht um das Erlangen des Heiligen Geistes. Umso mehr lohnt sich ein Blick auf die hl. Messen an Pfingsten und die Votivmessen zum Heiligen Geist. Sie haben eine eigene Sequenz. Der kraftvolle, nicht sehr lange Text wird Kardinal Stephen Langton (1150-1228) zugeschrieben. Der Erzbischof von Canterbury zählt zu den großen Gestalten der katholischen Kirche in England vor dem anglikanischen Schisma.

Die gregorianische Melodie zur Sequenz zeichnet sich durch einen ganz eigenen Charakter aus. Bereits ein einziger Blick auf das Notenbild zeigt, dass die Melodieführung einer Wanderung durch Berge und Täler gleicht. Sie ist besonders einfach und harmonisch, klar und eingängig; dennoch bunt und immer wieder überraschend, gerade durch ihren großen Tonumfang und die souveräne Mischung kleinster und größter Intervalle. Das Überraschende, das Unerwartete, dabei aber immer Wohlgeordnete der Melodie verweist auf den Hl. Geist, dessen Wirken in der Geschichte immer wieder zu überraschen weiß.

Die beiden ersten Strophen der Sequenz sind geprägt durch das vierfache Stakkato des Wortes „Veni“ („Komm!“): Wiederholt, d.h. geradezu stürmisch, voll Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Heiligen Geist bittet der Beter um seine heilbringende Ankunft. Die vierfache Aufforderung zum Kommen des Geistes können wir im Hinblick auf das Innere des Menschen deuten: In diesem Sinne betet die hl. Sr. Benedicta a Cruce (Edith Stein): „Du, näher als ich mir selbst und innerlicher als mein Innerstes – und doch ungreifbar und unfassbar und jeden Namen sprengend: Heiliger Geist – Ewige Liebe.“ Das vierfache „Komm!“ können wir aber auch als Bitte um die vier Kardinaltugenden interpretieren: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Zucht und Maß sind unerlässlich für ein gottgefälliges Leben.
Neben diesen beiden ,inneren’ Deutungen ist aber auch eine Auslegung auf den äußeren, umfassenden Bereich von Kirche und Welt, ja eine „kosmische“ Auslegung möglich: Gottes Heiliger Geist möge die vier Himmelsrichtungen, d. h. die ganze Erde, mit seiner Gegenwart erfüllen; er möge in die gesamte Schöpfung kommen und sie in die neue Schöpfung verwandeln.
Zehn Strophen umfasst die Sequenz, und in den ersten fünf begegnen uns eindrucksvolle Anrufungen des Heiligen Geistes: Da wird er als „Vater der Armen“ (pater pauperum) angesprochen. Darin erkennen wir, dass sich Gott ganz besonders den Bedürftigen, Schwachen und Benachteiligten zuwendet. Doch wir alle sind arm vor Gott, arm an Glaube, Hoffnung und Liebe, arm an Tugend. Der barmherzige Gott aber kommt unserer Armut und Schwachheit zu Hilfe. So erweist sich der Heilige Geist tatsächlich als der „Spender der Güter“ (dator munerum). Alle Güter, die wir für unser menschlich-natürliches Leben benötigen, dürfen wir von ihm erwarten. Und im vollen Einklang damit alle Güter, derer wir für unser übernatürliches Leben, das neue Leben in Christus bedürfen. Zwar haben wir den Heiligen Geist in der Taufe und der Firmung empfangen. Dennoch sollten wir ständig um sein Kommen zu uns und um seine Gaben und Früchte bitten.
Ein weiterer Gedanke prägt unsere Sequenz: zweimal ruft sie den Heiligen Geist unter dem Aspekt des Lichtes an. Sie bittet um Erfüllung mit diesem Licht: „Komm, Licht der Herzen“ (veni, lumen cordium) und „Oh höchst beseligendes Licht“ (O lux beatissima). Wir denken an den Ruf „Licht Christi“ („Lumen Christi!“) in der Ostervigil und an die Worte Christi: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) Wir denken an den Johannesprolog am Ende der römischen Messe: „Das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternisse haben es nicht erfasst.“ (Joh 1,4b-5) Denn das Licht des Heiligen Geistes und das Licht Christi sind eins, weil der Heilige Geist der Geist des Vaters und des Sohnes ist. Deshalb kann der Korintherbrief beide Personen in einem kühnen Worte quasi identifizieren: „Der Herr aber ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“ (2 Kor 3,17) Im Übrigen bestätigt Paulus damit die Gottheit des Heiligen Geistes.
Die ,lichtvolle’ Wirkung des Heiligen Geistes besteht nicht zuletzt in innerem „Trost“, d. h. in einem Zustand geistlichen Wohlbefindens, in der rechten Zufriedenheit: Deshalb wird der Geist Gottes von der Sequenz als „bester Tröster“ (consolator optime) bezeichnet, und sie bittet: „In Ermüdung schenke Ruh’, in der Glut hauch Kühlung zu, tröste den, der trostlos weint.“ Der Heilige Geist ist Tröster, weil er unsere Gedanken zu Christus und zum himmlischen Vater erhebt. Er ist Tröster, weil er unseren Geist zu unserem ewigen Ziel lenkt und den Mut verleiht, dieses Ziel entschieden anzustreben. Er ist Tröster, weil er uns der Notwendigkeit menschlichen Trostes enthebt. Er ist Tröster, weil er uns mit seiner Stärke, seinem göttlichen Trost erfüllt.
„Oh Du Licht der Seligkeit, mach Dir unser Herz bereit, dring‘ in uns’re Seelen ein!“ Den mittleren Satzteil hat Heinrich Bone allerdings sehr frei übersetzt – um so einen Reim zu ermöglichen. Das „Reple cordis intima“ bedeutet eigentlich: „Erfülle die verborgenen Bereiche des Herzens“. Denn das menschliche Herz ist leer, wenn Gott und seine Wahrheit es nicht erfüllen. Der Mensch braucht die Wahrheit, braucht Richtung und Sinn im Leben, die letztlich allein von Gott her kommen.
In diesem Sinn fährt auch die sechste Strophe fort: Gänzlich arm und abhängig vor Gott weiß sich der Beter: „Ohne Dein lebendig Weh’n, nichts im Menschen kann besteh’n, nichts ohn’ Fehl und Makel sein.“ Damit greift die Sequenz das Wort des Herrn auf: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh 15,5) Die Wirkung geistlicher Güter, der Erwerb übernatürlicher Tugend ist ohne Gott nicht möglich. Die Gaben des Heiligen Geistes sind nicht menschliche Talente und Begabungen. Dennoch greifen die Gaben Gottes auf natürliche menschliche Fähigkeiten zurück, indem sie diese ins Übernatürliche erheben.
Schließlich heißt es in der neunten Strophe: „Heil‘ger Geist, wir bitten Dich: Gib uns allen gnädiglich Deiner Gaben Siebenzahl!“ Hier strebt unser Text erneut nach dem Erlangen des Heiligen Geistes; hier erneuert er seine Bitte um die Fülle des Geistes. Die Bitte um die sieben Geistesgaben nimmt Bezug auf den Propheten Jesaja. Er beschreibt das kommende messianische Reich, die Sendung des Geistes auf den Messias: das Reich des verheißenen Retters Israels, der von Gott gesandt werden wird. Jesaja 11,2 schreibt: „Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.“ In der Kraft des Geistes wird der Gesalbte in seinem Reich gerecht richten, sich der Armen annehmen und einen wunderbaren Friedenszustand hervorbringen: „Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. […] Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, Treue der Gürtel um seinen Leib. Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.“ (Jes 11,6) Vielleicht mag uns diese Friedensvision vom Reich des Messias fast irreal anmuten. Einen Vorgeschmack solcher idealer Zustände dürfen wir jedenfalls dort verkosten, wo Menschen einmütig zusammenleben: „Seht, wie gut und schön es ist, wenn Brüder miteinander in Eintracht leben.“ (Ps 132,1) Nicht nur jedes Kloster, sondern jede Familie sollte ein solcher Hort der Eintracht im Heiligen Geist, ein Anbeginn der neuen Schöpfung sein! Auch der hl. Paulus bestätigt öfter die Wirkung des Heiligen Geistes: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Glaube, Sanftmut, Keuschheit.“ (Gal 5,22).
Schließlich gipfelt unser Text in der Bitte um den unermesslichen Lohn, der in der ewigen Anschauung des dreifaltigen Gottes besteht. Es ist die Bitte, nach dem Tod die niemals endende Frucht genießen zu dürfen, für ein Leben im Heiligen Geist - für ein Leben gemäß dem Ratschlag des Starez Seraphim: Ein Leben im Bemühen, den Heiligen Geist je tiefer zu erwerben: „Spende uns der Tugend Lohn, Lass uns stehn an deinem Thron, Uns erfreun im Himmelssaal. Amen, Alleluia.“