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Sursum corda!

Die Bedeutung eines liturgischen Rufes während
der heiligen Messe und für unser ganzes Leben

von P. Bernward Deneke FSSP

„An welcher Stelle der heiligen Messe wird am meisten gelogen?“ – „Vor der Präfation. Denn, wer von denen, die den Ruf Sursum corda vorschriftsgemäß mit Habemus ad Dominum beantworten, hat denn sein Herz wirklich auf Gott gerichtet…?“
Ist dieser „katholische Witz“ nicht allzu pessimistisch? Wir wissen zwar, dass uns die Zerstreuung oft mehr liegt als die Sammlung, doch am insgesamt guten Willen gläubiger Menschen sollten wir nicht zweifeln, schon gar nicht verzweifeln. Das Urteil darüber liegt ohnehin bei dem, der „Herz und Nieren prüft“ (Ps 7,10; Jer 11,20; Apk 2,25).
Jedenfalls hat das Sursum corda seine tiefe Bedeutung in der Liturgie, zu deren Urgestein es gehört, aber auch über sie hinaus. Schon der gestrenge Bischof und Kirchenvater Cyprian von Karthago (+ 258) schreibt: „Vor dem [eucharistischen] Gebet schickt der Priester einige einleitende Worte voraus und bereitet die Herzen der Brüder vor, indem er sagt: Sursum corda, damit die Gemeinde, die darauf antwortet: Habemus ad Dominum, daran erinnert werde, dass sie an nichts anderes als an den Herrn denken darf.“ (Über das Gebet des Herrn, 31) Diese anspruchsvolle Forderung ist aber mehr als ein moralischer Appell: Sie ist eine Folge aus dem neuen Sein des erlösten Menschen. „Wenn ihr nun mit Christus auferweckt worden seid“, ruft der heilige Paulus uns zu, „so suchet, was droben ist, wo Christus weilt, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das, was droben, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.“ (Kol 3,1-2)
Von solcher Grundlage aus läuft der heilige Augustinus (+ 430) in einer Osterpredigt für Neugetaufte zu theologischer Höchstform auf: „Nach dem (Gaben-)Gebet werdet ihr ermahnt, das Herz in die Höhe zu richten. So ziemt es sich für Glieder Christi. Denn wenn ihr Christi Glieder geworden seid, wo befindet sich dann wohl euer Haupt? Glieder haben ja ein Haupt. Wäre das Haupt nicht vorausgegangen, so könnten ihm die Glieder nicht folgen. Wohin also ging unser Haupt? Welche Antwort habt ihr beim Aufsagen des Credo gegeben? Am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, er sitzet zur Rechten des Vaters. Also befindet sich unser Haupt im Himmel. Deshalb antwortet ihr auf das Sursum corda: Habemus ad Dominum.“ (Predigt 227,3)

Das Sursum corda, obgleich kein wörtliches Zitat aus der Bibel, gibt doch einen Gedanken wieder, dem wir in den Schriften des Alten und Neuen Testamentes oft begegnen: Erhoben ist unser Inneres, unser Geist und Herz, wenn wir uns Gott zuwenden. Nach unten sind wir ausgerichtet, wenn wir die Gegenwart, die Wahrheit und den Anspruch Gottes an uns zu verdrängen suchen. In diesem Sinne spricht der Herr zu Kain, dessen Herz schon vor der Schreckenstat an seinem Bruder einer Mördergrube gleicht: „Warum bist du zornig und senkst dein Angesicht? Wenn du recht handelst, erhebst du dann nicht das Haupt?“ (Gen 4,6 f.) Ähnlich heißt es im Buch Daniel von den beiden Ältesten, die, von Begierde verzehrt, der badenden Susanna nachstellten: „Sie verkehrten ihren Sinn und richteten ihre Augen falsch, so dass sie nicht zum Himmel schauten und nicht seiner Gerichte gedachten.“ (13,9) Die herabgesenkten Augen stehen für die falsche Herzensausrichtung – statt des Sursum corda bewirkt die Sünde ein Deorsum corda: „Nieder die Herzen, fort vom Herrn!“ Sie macht das Herz bleiern schwer und erdverhaftet – ein Zustand, aus dem der Mensch sich mit eigener Anstrengung nicht erheben kann.
Dieses Gesetz geistiger Schwerkraft überwindet nur die Gnade. Sie zeigt sich in der Reue und Buße, vor allem aber im Gebet. „Ad te levavi animam meam – Zu Dir habe ich meine Seele erhoben“, beginnt daher der 24. Psalm (nach der Vulgata) und sagt damit treffend, was das Gebet ist: „Aufstieg/Erhebung des Geistes zu Gott“ (elevatio mentis in Deum), wie es seit dem Wüstenvater Evagrius Ponticus (+ 399) gerne beschrieben wird.

Das Sursum corda ist somit ein Aufruf zum Gebet. Ein Aufruf, den wir auch jederzeit an uns selbst und gegebenenfalls an andere Menschen richten können. In allen Lagen des Lebens, besonders in Bedrängnis und Versuchung, erweist er sich als hilfreich und bewegt uns zu jener heiligen „Hochherzigkeit“, die darum weiß, dass „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben stammt, vom Vater der Lichter“ (Jak 1,17): Segen und Gnade, Licht und Kraft, Friede und Freude. Alle, die im Rhythmus des Sursum corda – Habemus ad Dominum ihren Weg dem ewigen Ziel entgegen gehen, strafen im Übrigen auch den Witz am Anfang dieses Artikels Lügen, da ihr Herz bestimmt im heiligsten Moment des Messopfers ad Dominum gerichtet ist – zum Herrn auf dem Altar und im Himmel.