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Wahrhaft auferstanden!

Ohne die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu werden
der Glaube und das Leben des Christen zu Unwirklichkeiten.
von P. Bernward Deneke FSSP

Während bei uns auch an Ostern der gewöhnliche Alltagsgruß – „Grüß Gott“, „Guten Tag“ oder das nichtssagende „Hallo“ – in Gebrauch ist, pflegt man in der Ostkirche zum höchsten Fest der Christenheit noch immer einen alten, aussagekräftigen Brauch des Grüßens. Der dahinterstehende Gedanke: In der heiligen Festzeit soll der Jubel über den Sieg des Herrn auch die Begegnung unter Christen durchtönen. Daher die Anrede „Christus ist auferstanden“, die mit „Er ist wahrhaft auferstanden“ beantwortet wird (griechisch: „Christos anesti – Alithos anesti“; russisch: „Christos woskres – Woistinu woskres“). Dieser Dialog gründet im Zeugnis des Neuen Testaments. Die Emmausjünger, von ihrem denkwürdigen Osterweg mit dem Auferstandenen nach Jerusalem zurückgekehrt, vernehmen dort aus dem Mund der Apostel, was sie selbst gerade zuvor erkennen durften: Jesus ist wahrhaft auferstanden (Lk 24,34).

Die Schilderungen des leeren Grabes und der Erscheinungen des Herrn rücken dieses wahrhaft in helles Licht. So sehr die Evangelisten auch das Geistige, Übernatürliche des Auferstehungsgeschehens und der nachfolgenden Begegnungen mit dem Herrn unterstreichen, so sehr legen sie doch Wert auf die geradezu handgreifliche Realität der Fakten. Zwar vermag der Auferstandene durch verschlossene Türen zu gehen (Joh 20,19), aber ein „Gespenst“ ist Er deshalb nicht, hat Er doch berührbares Fleisch und Gebein (Lk 24,39), wovon sich der skeptische Thomas denn auch überzeugen soll (Joh 20,27). Sogar Speisen nimmt der Herr zu sich: Einen gebratenen Fisch verzehrt Er demonstrativ vor den Augen der Apostel (Lk 24,42f.), und vermutlich geschieht das nicht nur einmal, denn später wird Petrus im Haus des römischen Hauptmanns Kornelius bezeugen, mit dem Auferstandenen gegessen und getrunken zu haben (Apg 10,41).

„Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden.“ Das Wort wahrhaft hat es gerade heute „in sich“. Während sich in der frühen Kirche manche Kreise schwertaten zu glauben, dass der ewige Gottessohn wahrhaft gelitten habe, ja überhaupt in wirklichem Fleisch gekommen sei, bereitet es Theologen der Gegenwart größere Probleme, die Auferstehung als tatsächliches Ereignis zu betrachten. „Man kann doch nicht in einer Welt leben, die durch die Naturwissenschaft entzaubert ist, kann nicht hochkomplizierte Maschinen bedienen und die Möglichkeiten der modernsten Datenverarbeitung und Kommunikation ausnutzen – und dann daran glauben, dass ein Toter reanimiert wird und aus dem Grab ersteht“, lautet ein oft gehörter Einwand. Frage: Warum denn eigentlich nicht?

Gewiss, man liegt falsch, sieht man die Auferstehung als eine Reanimation an, vergleichbar der eines klinisch Toten. Jesus ist an Ostern nicht in das vorherige Leben zurückgekehrt, sondern hat sich den Seinen als der verklärte Herr gezeigt. Aber es entspricht nicht dem Evangelium, dieses zentrale Ereignis nur als ein rein innerliches „Widerfahrnis“ der Apostel zu verstehen; als eine „Auferstehung in den Glauben der Jünger hinein“, wie die These des protestantischen Exegeten Rudolf Bultmann (+ 1976) lautet, die bis heute zahlreiche Wiederkäuer und Nachbeter findet.

Auch wird es dem Wahrhaft nicht gerecht, Ostern mittels einer plötzlichen Erfahrung einiger Menschen zu erklären, die dadurch verstanden, dass die „Sache Jesu“ mit Seinem Tod nicht vorüber sei, sondern irgendwie weitergehe. Nein, weder individuell-innerpsychische noch kollektiv- gruppendynamische Vorgänge, und wären sie noch so intensiv gewesen, reichen an das heran, was die Evangelien künden.

Trotzdem ist die Entwirklichung der Auferstehung heute nur allzu verbreitet. Sie bleibt für gewöhnlich nicht auf das Ostergeheimnis beschränkt, sondern hinterlässt ihre Spuren im gesamten Glaubensdenken und -leben der Christen. Denn wenn Jesus nicht wahrhaft auferstanden ist, wenn Sein Grab nicht leer war und Er nicht tatsächlich den Aposteln erschienen ist, dann stellt sich doch die Frage: Wie steht es denn anderswo mit dem Wörtchen wahrhaft?
Es ist auffällig, dass die Leugnung der Realität an dieser Stelle der göttlichen Offenbarung wie von selbst auch zu einem Realitätsverlust an anderen Punkten führt. Beispielsweise lehrt uns die Kirche, Christus sei wahrhaft im allerheiligsten Sakrament des Altares gegenwärtig. Schwer zu glauben, wenn Er nicht wahrhaft auferstanden sein soll! Es verwundert also keineswegs, dass Theologen, die an der objektiven Wirklichkeit der Auferstehung Abstriche machen, sich für gewöhnlich ebenso mit der Realpräsenz des Herrn unter den eucharistischen Gestalten schwertun und diese in Richtung eines bloßen Zeichens abschwächen.

Der Abbau an Wirklichkeit bleibt auch beim Geheimnis des Altarssakramentes nicht stehen. Lichtvoll hat Matthias Joseph Scheeben (+ 1888), ein herausragender deutscher Theologe des 19. Jahrhunderts, aufgezeigt, dass die Leugnung der Wesensverwandlung in der Heiligen Messe sich regelmäßig mit einer Verkürzung in der Gnadenlehre verbindet: Der gerechtfertigte Mensch ist dann nicht mehr wahrhaft verwandelt in eine „neue Kreatur“ (2 Kor 5,17), in der durch das „Sein in Christus“ – also die Heiligmachende Gnade – nichts Verdammungswürdiges verbleibt (Röm 8,1). Stattdessen besteht dann auch im Erlösten der alte, sündige Mensch fort. Dieser ist eher notdürftig durch die Verdienste Jesu Christi überkleidet und so ein nur äußerlich für gerecht erklärter Sünder, simul iustus et peccator („zugleich Gerechter und Sünder“), wie Martin Luther sich ausdrückte. Der wahrhafte Gnadenrealismus ist einem wirklichkeitsarmen „Als ob“ gewichen.

Im 15. Kapitel seines Ersten Korintherbriefes hat Paulus für alle Zeiten gültig die Konsequenz beschrieben, die sich aus der Leugnung der wirklichen Auferstehung ergibt: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist damit unsere Predigt nichtig, und nichtig ist euer Glaube. Dann stehen wir als falsche Zeugen Gottes da, weil wir gegen Gott bezeugen, Er habe Christus auferweckt, während Er Ihn doch gar nicht auferweckt hat!“ (14f.) Der Völkerapostel weist auch darauf hin, dass wir ohne die Auferstehung Jesu noch in unseren Sünden wären (17). Wie bereits gesagt: Ohne wahrhafte Auferstehung keine wahrhafte Reinigung unseres Herzens! Wir wären dann sogar die „bedauernswertesten unter allen Menschen“ (19), betrogene Betrüger, die ihre Hoffnung auf eine Chimäre setzen und andere gleichfalls dazu verführen. Wenn Er nicht wahrhaft auferstanden ist, werden auch wir nicht auferstehen; „dann lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ (32)

Höchstwahrscheinlich wird sich der ostkirchliche Ostergruß in der westlichen Christenheit nicht durchsetzen. Unter Gläubigen könnte man ihn dennoch gelegentlich benutzen, um einander an den Sieg Jesu über Sünde, Tod und Teufel zu erinnern und in den Herzen die freudige Gewissheit zu wecken, dass Gott in Wort und Tat ganz und gar wahrhaftig ist. „Christus ist auferstanden. – Ja, Er ist wahrhaft auferstanden!“