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Priester für die Seelen

von P. Engelbert Recktenwald FSSP

Es ist ein allgemeines psychologisches Gesetz: Nach Verbot oder Raub einer Sache wird diese von uns höher geschätzt, als zu Zeiten ihres selbstverständlichen Besitzes. Ihr Verlust schmerzt uns, und es kann sein, daß dieser Schmerz uns verführt, sie im Nachhinein über Gebühr zu schätzen. Das wäre Zeichen einer ungeordneten Anhänglichkeit. Es kann aber auch sein, daß der Verlust uns erst zur angemessenen Wertschätzung verhilft und uns im Nachhinein von einer Gleichgültigkeit kuriert, die ihren Grund nicht in der Geringwertigkeit der Sache, sondern in der Selbstverständlichkeit ihres Besitzes hatte. Ich bin überzeugt, daß genau dies bei der überlieferten Liturgie der Fall war. Nach der Liturgiereform wissen wir erst, was wir an ihr hatten! Jene, die sich weigern, die Verwüstung [1], die die real existierende Liturgiereform angestellt hat, als Erneuerung zu euphorisieren, haben sich mit um so größerem Eifer dem vertieften Studium und der liebevollen Pflege der überlieferten Liturgie zugewandt. Dabei geht es nicht um ein einseitig ästhetisches Verständnis, das die Liturgie auf ein Highlight kulturellen Erlebens reduziert. Wir halten an ihr fest, nicht weil sie uns “gefällt”, sondern weil sie eine Oase authentischen kirchlichen Lebens und eine Quelle der Heiligung ist. Unsere Kräfte werden hier, wie das Zweite Vaticanum sagt, “wunderbar gestärkt”, so daß wir Christus zu künden vermögen (Liturgiekonstitution “Sacrosanctum Concilium” Nr. 2). Es ist ja Christus selbst, der im heiligen Opfer der Eucharistie “das Werk unserer Erlösung vollzieht” (SC Nr. 2). Es geht um Jesus Christus und die Verbindung mit ihm, nicht um einen ästhetischen Genuß.

Die Priesterbruderschaft St. Petrus möchte der Kirche Priester schenken, die ganz aus der Verbindung mit Christus heraus leben und wirken. Dabei spielt das Opfer Christi, das in der Meßliturgie erneuert wird, jene zentrale Rolle, die das letzte Konzil ihm selber zuweist mit den Worten: “Durch den Dienst der Priester vollendet sich das geistige Opfer der Gläubigen in Einheit mit dem Opfer des einzigen Mittlers Christus, das sie mit ihren Händen im Namen der ganzen Kirche bei der Feier der Eucharistie auf unblutige und sakramentale Weise darbringen, bis der Herr selbst kommt. Darauf zielt das Dienstamt der Priester, und darin findet es seine Vollendung. Denn ihr Dienst, der in der Verkündigung des Evangeliums seinen Anfang nimmt, schöpft seine ganze Kraft aus dem Opfer Christi.” (Dekret über Dienst und Leben der Priester “Presbyterorum ordinis”, Nr. 2). Die heilige Messe ist der innerste Lebensvollzug der Kirche. Dieser verhält sich nicht gleichgültig zur äußeren Form. Die liturgische “Gottesdienstgestaltung” muß der Würde und der Bedeutung dessen, was geschieht, angemessen sein. Schönheit der Riten, Adel des Gesanges und Hoheit der Zeremonien sind keine Frage des subjektiven Geschmacks oder der persönlichen Gefälligkeit. Sie sind authentischer Lebensausdruck der Kirche. So wichtig sie auch sind, dennoch sind nicht sie es, die das übernatürliche Leben des Priesters nähren, sondern das Opfer. Die Schönheit der Liturgie bleibt nur glaubwürdig, wenn das Leben des Liturgen dem Leben Christi gleichförmig wird. Zur Übereinstimmung der Liturgie mit dem Opfer muß die Übereinstimmung des Priesters mit dem ewigen Hohenpriester hinzukommen. Die heilige Messe muß für ihn zur Lebens-, Liebes- und Opferschule werden. Er soll hier Kraft schöpfen, sein ganzes Leben im Dienst an den unsterblichen Seelen aufzuopfern. Wenn der Liebe zur Liturgie nicht ein entsprechender Seeleneifer korrespondiert, gerät seine Spiritualität in eine Schieflage. Kein Priester ist Priester für sich selbst. Die Arbeit an der Rettung der Seelen ist das Ziel seiner Berufung und seine Art, Gott zu verherrlichen. Das Zweite Vaticanum drückt dies so aus: “Das Ziel also, auf das Dienst und Leben der Priester ausgerichtet sind, ist die Verherrlichung Gottes des Vaters in Christus. Diese Verherrlichung besteht darin, daß die Menschen die in Christus vollendete Tat Gottes bewußt, frei und dankbar annehmen und in ihrem ganzen Leben kundtun. Ob die Priester sich darum dem Gebet und der Anbetung hingeben, ob sie das Wort verkünden, das eucharistische Opfer darbringen und die übrigen Sakramente verwalten oder den Menschen auf andere Weise dienen, immer fördern sie die Ehre Gottes und das Wachstum des göttlichen Lebens im Menschen.” (“Presbyterorum ordinis” Nr. 2)

Damit der Priester seinen vielfältigen Aufgaben nachgehen und die dazu nötige Kraft aus der Liturgie schöpfen kann, muß sie etwas von jener Selbstverständlichkeit an sich haben, die sie jedem willkürlichen Zugriff entrückt. Deshalb ist es fatal, wenn an die alte Liturgie immer wieder der Wunsch nach Reform, Änderung oder Anpassung herangetragen wird. Ein Hausvater, der ganz in Anspruch genommen wäre, stets die Wohnung neu einzurichten, könnte seiner eigentlichen Arbeit nicht nachgehen. In einer Wohnung wohnt man, und zum Wohnen gehört Vertrautheit mit der sich gleichbleibenden Umgebung. Kraft und Aufmerksamkeit werden außerhalb investiert.  Soll die Liturgie geistliche Heimat und Kraftquelle sein, muß sie etwas von dieser Selbstverständlichkeit und Vertrautheit haben. Durch die aufgezwungene Diskussion über die Liturgie wird die Aufmerksamkeit des Priesters in unnatürlicher Weise auf sie gelenkt wie bei jemandem, der ständig mit seiner Wohnung beschäftigt ist. Dadurch wird verhindert, daß die Liturgie zur Quelle unermüdlichen Wirkens im Dienst an den unsterblichen Seelen wird.

Dieser Dienst kann in einer Zeit des rasenden Glaubensabfalls nichts anderes sein als ein Beitrag zur Neuevangelisierung. Die Treue zur alten Liturgie ist unser Spezifikum, umfaßt aber nicht die ganze Spannbreite priesterlichen Wirkens. Außerhalb der Grenze der Zelebration gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte der Zusammenarbeit mit anderen glaubenstreuen Priestern. Dadurch wird die real bestehende kirchliche Communio glaubwürdiger dokumentiert und gelebt als durch eine punktuelle Konzelebration. Die Fixierung auf die Konzelebration als unabdingbares Zeichen der Communio ist praxisfern und theologisch unbegründet. Sollte das Anliegen der Glaubensweitergabe und der Neuevangelisierung nicht stärker sein als das Ärgernis an unserem Spezifikum?

Mehr denn je haben die Gläubigen in der heutigen Glaubensnot ein Anrecht auf glaubenstreue Priester, auf eine glaubenstreue Verkündigung und auf eine glaubenstreue Sakramentenpastoral. Die Petrusbruderschaft will der Kirche Priester schenken, die in ganzer Hingabe ihre Berufung leben und auf die Glaubensnot antworten. Ihre Niederlassungen sollen Oasen des Glaubens sein, die durch ihre Liturgie die Seelen anziehen und durch das Wirken ihrer Priester nach außen ausstrahlen. Dieses Wirken umfaßt neben der Spendung der Sakramente Vorträge, Katechesen, Einkehrtage, Exerzitien, Seelenführung, Jugendfreizeiten, Familienfreizeiten, Glaubenskurse, Familiennachmittage, Gebetsstunden, Sühnenächte, Wallfahrten, Schriftenapostolat. Zur größeren Effektivität können die Gläubigen beitragen durch ihre Mithilfe bei der Vorbereitung, Organisation und Bekanntmachung entsprechender Veranstaltungen. Je größer die Glaubensnot ist, um so unermüdlicher sollte der Seeleneifer darauf antworten. Der Teufel rastet nicht, um die Seelen zu verderben, so sollen auch wir nicht rasten, um sie zu retten, pflegte der hl. Don Bosco zu sagen.

Die Wirksamkeit des Priesters nach außen muß gedeckt sein durch ein entsprechendes inneres Leben. Sonst kann er nicht mit dem hl. Paulus sprechen “Die Liebe Christi drängt uns”, sondern müßte bekennen, daß er letztlich irgendwo sich selber sucht: seinen Erfolg, seinen Ruhm, sein Prestige. Der hl. Alfons, der Gründer des Redemptoristenordens, wurde nicht müde, seine Priester zur Selbstverachtung zu ermahnen. Dieses zugegebenermaßen mißverständliche Wort hat nichts mit Minderwertigkeitskomplexen, Resignation oder Pessimismus zu tun, sondern stellt das Gegenprogramm zu Prestigedenken und klerikaler Eitelkeit dar. “Jener muß wachsen, ich muß abnehmen” (Joh 3,30), sagt Johannes der Täufer. In dem Maße, wie der Priester ein Liebender ist, kann er sich selbst vergessen und in der Hingabe an seine Berufung aufgehen. “Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat” (Joh 4,34). Müßte nicht jeder Priester diese Worte seines Meisters sich zu eigen machen können? In einer Zeit, in der die Liebe erkaltet, ist es das vordringlichste Anliegen, dieses Feuer neu zu entfachen. “Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich anderes, als daß es brenne” (Lk 12,49). Dieses Feuer möchte die Petrusbruderschaft an möglichst vielen Orten neu entzünden.
 


[1] Das Wort “Verwüstung” in diesem Zusammenhang stammt von Kardinal Ratzinger
     (Geleitwort zur Gedenkschrift für Klaus Gamber, hg. von W. Nyssen, Köln 1989)