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Erziehungsziel Bekenner

Ein Anstoß für christliche Eltern und Erzieher,
die ihrer Verantwortung entsprechen wollen…
von P. Bernward Deneke FSSP

„Was wird wohl aus diesem Kind werden?“ Die Frage, die sich die Leute anläßlich der Geburt Johannes des Täufers stellten, wird bei jedem neuen Erdenbürger aktuell. Da kommt ein Mensch zur Welt, einzigartig in seinen Anlagen und Möglichkeiten. Im Zusammenwirken verschiedener Kräfte und Einflüsse – leiblicher und geistiger, frei gewählter und ungewollter, eigener und fremder, günstiger und gefährlicher, irdischer und göttlicher – wird daraus bald eine Persönlichkeit werden.
Wie soll diese dann beschaffen sein, wie nicht? Welche prägenden Erkenntnisse und Ziele, Beziehungen und Erfahrungen sind wünschenswert, sogar notwendig? Was sollte dem Menschen- und Gotteskind vermittelt werden, was hingegen ihm erspart bleiben? Fragen, denen sich kein verantwortungsvoller Erzieher entziehen kann.
Die Ziele vieler Eltern sind reichlich unbestimmt. Galt in den Nachkriegsjahrzehnten weithin die zumindest hoffnungsvolle Devise: „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir“, so scheint mittlerweile eine andere Stimmung vorzuherrschen.
Zwar planen ehrgeizige Eltern auch weiterhin frühzeitig und bis ins Detail die Karriere ihres Nachwuchses, fordern und fördern ihn auf alle nur erdenkliche Weise, spornen ihn zu harter, zielstrebiger Gangart an und helfen nötigenfalls dem Erfolg mit kraftvollen Maßnahmen nach. Doch insgesamt dürfte das eher die Ausnahme sein. Und ist diese Art von Zielstrebigkeit überhaupt wünschenswert? Für gläubige Menschen gibt es jedenfalls Wichtigeres zu erreichen als Geld, Macht und Ansehen.
Was aber, wenn auch christliche Eltern keine klaren Vorstellungen haben? Wenn, allen Erwartungen zum Trotz, nicht die Regel gilt: Je gläubiger ein Erzieher, desto eindeutiger seine Ziel-Ausrichtung und desto konsequenter Wahl und Einsatz der entsprechenden Mittel? Wo die hohen Ideale und die konkreten Ideen, die zu ihrer Verwirklichung nun einmal nötig sind, fehlen, da breitet sich bald Resignation und Passivität, Ratlosigkeit und Unentschiedenheit aus. Genau das ist die Situation vieler, sehr vieler Familien.
Oftmals ist die Zielbestimmung der Erziehung auch bei gläubigen Eltern eine weitgehend negative. Das heißt: Es geht ihnen vor allem darum, was aus den Kindern nicht werden soll. Je nach Ausprägung des Glaubenslebens kann dann in bestimmten Entwicklungsphasen des Heranwachsenden das Denken der Eltern fast ausschließlich um einzelne Fragen kreisen wie die, ob er denn noch (!) seine Sonntagspflicht erfülle. So wichtig der Kirchgang am Tag des Herrn auch ist: Man wird zugeben müssen, daß er nicht den einzigen Richtwert für ein christliches Leben und, für sich genommen, auch keinen Beweis für eine gelungene Erziehung darstellt.

Nicht wenige religiöse Eltern zeigen sich besonders von der Sorge bestimmt, ihre Kinder mögen doch bitteschön „normal“ sein und bleiben, sich also nicht zu Exoten entwickeln. In den Vorstellungen solcher Erzieher geistert das Schreckgespenst des (tatsächlich auch hier und da real existierenden) überspannten und weltfremden Frömmlers herum: „Daß sich doch keines unserer Kinder in diese Richtung entwickeln möge – Gott bewahre!“
Daher die Beflissenheit, mit der sich solche Eltern um die Anpassung ihrer Nachkommenschaft an die vorherrschenden Strömungen bemühen, wo immer diese nicht in offenen Konflikt mit dem ausdrücklichen Gebot Gottes geraten. Kleidung und Frisur, Musik- und Filmkonsum, Verwendung von Kommunikations- und Unterhaltungsmedien – in allen diesen Bereichen ist zu beweisen, daß ein gläubiger Jugendlicher nicht rückständig und langweilig sein muß.
„Wie schön, wenn dieselben jungen Leute, die am Sonntag im Gottesdienst erscheinen, am Vorabend auch in der Disco waren!“ Die Aussage eines Geistlichen könnte man in umgedrehter Form wohl gelten lassen: „Wie schön, wenn die Discobesucher am Sonntag trotzdem zur Kirche finden.“ Andersherum aber zeugt sie von gefährlicher Naivität. Denn die statistische „Normalität“ unter heutigen Jugendlichen paßt ebenso wenig mit den bleibenden Normen der Schöpfungs- und Erlösungsordnung zusammen, wie eine Jugendkultur, die unwürdige Entfesselung predigt und schlußendlich dumpfe Betäubung bewirkt, mit dem Kult der heiligen Messe harmoniert.

Was dann? Sollte die christliche Familie also doch eine Fabrik für fromme Kunstgewächse sein? Eine Pflanzstätte für demütige Mauerblümchen? So kostbar und notwendig wahre Frömmigkeit und Demut sind: Diese Tugenden dürfen und können nicht das einzige Erziehungsziel darstellen, nicht einmal das vorrangige. Sonst degenerieren sie nur allzu leicht und werden, anstatt Ausdruck geistiger Kraft und Vitalität zu sein, zu Haltungen der Schwäche und Lebensverneinung. Wer nur demütig und nichts als demütig sein will, der beraubt sich gerade dadurch der echten, kernigen Demut.
Erziehung müßte daher immer auch Erziehung zum Stolz sein. Wie bitte: Stolz? Ja: Stolz! Seinem Wesen nach ist dieser nämlich ein Nicht-dienen-Wollen; die Verweigerung, den Nacken zu beugen. Gott gegenüber die Sünde schlechthin – „Non serviam, ich will nicht dienen“, lautet bekanntlich der widergöttliche Schlachtruf des Satans – und auch vor kirchlichen und legitimen weltlichen Autoritäten eine schwerwiegende Verfehlung, ist der Stolz gegenüber unrechtmäßigen Machthabern, gegenüber dem „Fürsten dieser Welt“ und seinem Anhang von Verführern und Zerstörern, auch gegenüber Ideologien und zeitgeistigen Nichtigkeiten nicht nur angemessen, sondern sogar notwendig. Er ist dann nicht ein sündighochmütiger, sondern ein heiliger, demütiger Stolz. Der junge Mensch muß also rechtzeitig lernen, anmaßenden Pseudo-Autoritäten sein „Non serviam“ entgegenzuschleudern. Er muß in der Lage sein, dort, wo alle den Nacken beugen, sein Haupt emporzurecken und den aufrechten Gang zu bewahren. Er muß es – um seiner Treue zu Gott willen.
Daß dann auch recht bald eine Lektion in der Demut ansteht, begreift jeder geistliche Mensch; denn auf religiöse Fanatiker, auf vorlaute und arrogante Besserwisser können und wollen wir getrost verzichten. Aber dennoch: Besser ein junger Mensch, der in seiner glutvollen Überzeugung einmal über die Stränge schlägt, als ein Duckmäuserlein, das seine Ängstlichkeit als Demut tarnt. Besser einer, der auch da, wo es gar nicht nötig wäre, wie ein Pfeiler im Strom stehen und ihm trotzen will, als der von vornherein brav und artig angepaßte Mitläufer, der zwar noch die Sonntagsmesse besucht und seine Wundertätige Medaille trägt, der aber weder christlichen Bekennermut noch gläubige Tatkraft zeigt.
Bekennermut, Bekennertum – vielleicht ist das, zumal in unserer Zeit, überhaupt die treffendste Zielangabe für religiöse Erziehung? Denn was bräuchten wir heute mehr als solche Persönlichkeiten, die, durchdrungen von der christlichen Wahrheit, diese mit allen ihren Konsequenzen für das Leben bekennen, wenn immer es erfordert ist?

In den ersten Jahrhunderten der Kirche, denen der großen Verfolgungen, bezeichnete man als Confessor einen Christen, der bis in die Todesgefahr hinein mutig zu seinem Glauben stand, doch kein Blutzeugnis für ihn ablegen mußte. Auf einen solchen Menschen läßt sich das Wort Jesu anwenden: „Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde auch ich vor dem Vater bekennen.“ (Mt 10,32) Man könnte sagen: Ein Bekenner war so etwas wie ein verhinderter Martyrer, diesem an Verehrungswürdigkeit gleichend, weil ihn nicht die fehlende Bereitschaft, nicht seine Feigheit, sondern äußere Umstände vom Martyrium trennten.
Später erhielt der Begriff Confessor eine Weitung. Seither werden generell männliche Heilige so genannt, die sich durch Glaubenskraft und vollkommene Hingabe an Gott, durch Einsatz für die Kirche und Werke der Nächstenliebe ausgezeichnet haben.
In unseren Zusammenhängen schlage ich vor, den Bekenner wieder mehr im ursprünglichen Sinne zu verstehen: als wahren und klaren, kraft- und liebevollen Zeugen des Herrn in einer weithin glaubensfremden, glaubensfernen und glaubensfeindlichen Welt.
Dieser Menschen- und Christenschlag wird überall, in allen Bereichen des gesellschaftlichen und privaten Lebens, benötigt. Schon der gläubige Schüler hat oftmals keine andere Wahl als das Bekenntnis (mit allen zuweilen bitteren Folen, die daraus erwachsen) oder das Verleugnen. Gleiches trifft auch am Arbeitsplatz und nicht selten innerhalb der Familie zu. Nicht einmal die Kirche ist hier auszunehmen: Ein Bischof, der uneingeschränkt zur katholischen Glaubenswahrheit und Sittlichkeit steht und diese mit wünschenswerter Eindeutigkeit vertritt, wird nicht nur geradezu zwangsläufig mit einflußreichen Kreisen der weltlichen Öffentlichkeit aneinandergeraten, sondern auch bald schon Schwierigkeiten mit bestimmten kirchlichen Gruppen bekommen. Selbst die Bischofskonferenz kann bekanntlich eine solche Gruppe sein…

Zurück zum Thema „Erziehung“. Wenn sie sich tatsächlich das christliche Bekennertum als Ziel setzt, dann liegt eine schwierige Aufgabe vor ihr. Eine wahre Herkules-Aufgabe, die aber nicht nur und nicht einmal vorwiegend mit eigenen Kräften bewerkstelligt werden muß, sondern Gottes Hilfe braucht und auch mit ihr rechnen darf.
Sie besteht zunächst darin, dem Heranwachsenden das Ideal des Bekenners einzupflanzen. Dafür bedarf es der Weckung und Nährung des Glaubens, damit er in beide Richtungen, nach unten wie nach oben, wachse, d.h. seine Wurzeln immer tiefer hineinsenke in das Erdreich des Herzens und seinen Stamm, seine Zweige immer höher und weiter hinausstrecke über alles Menschlich-allzu- Menschliche.
Man versteht leicht, daß diese Entwicklung einer erzieherischen Leitung und Begleitung bedarf, die das Augenmerk sowohl auf das innerliche Leben des Kindes mit Gott richtet, auf Gebet und Frömmigkeit, als auch auf die inhaltliche Unterweisung in den Glaubenswahrheiten. Es dürfte kein Geheimnis sein und dennoch von vielen Eltern zu wenig beachtet werden, wie erheblich sich gerade die Mängel auf diesem Gebiet auswirken.
Nach Katholikengenerationen, denen vielfach die Katechismussätze eingepaukt und eingetrichtert wurden, ohne daß dabei eine persönliche Beziehung zum Schöpfer und Erlöser entstanden wäre, haben wir jetzt Katholiken vor uns, die im Religionsunterricht neben viel Kirchenkritik und Beschäftigung mit dem Buddhismus sowie dem Outing Homosexueller auch manche spirituelle Animation erlebt haben, denen aber niemals der Glaube in seiner Fülle und Verbindlichkeit vorgestellt wurde. Eine Erziehung zum Confessor müßte das besser machen. Unbedingt!

Bekanntlich vermag die göttliche Gnade in einem einzigen Moment verschämte Christen in freimütige Glaubenszeugen zu verwandeln. Wir glauben, daß das Pfingstwunder auch heute noch geschehen kann und in vielen Herzen auch tatsächlich geschieht. Dennoch müssen wir von dem Normalfall organischen Wachsens ausgehen, wie er in den Gleichnissen Jesu beschrieben wird.
Von seiten des Substrates „menschliche Natur“ ist demzufolge einiges gefordert, damit es für das übernatürliche Bekennertum geeignet sei. Charakterliche Anlagen spielen dabei gewiß auch eine Rolle; ein Choleriker tut sich nun einmal leichter mit dem offenen Bekenntnis zu seinen Überzeugungen als ein ausgesprochener Melancholiker. Gleichwohl werden letztlich andere, grundsätzliche geistliche Einstellungen und sittliche Haltungen den Ausschlag geben: Wachsend in den sittlichen Tugenden, in Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maßhaltung, sowie in den drei göttlichen Tugenden, in Glaube, Hoffnung und Liebe, aber auch in praktischen und sozialen Fähig- und Fertigkeiten, wächst der junge Mensch zugleich auch über die Bedingtheiten seiner erbsündlich verwundeten Naturanlagen hinaus, wächst im Idealfall zum Vollalter Christi heran und wird – ein Confessor.
Ist es nicht die hellste Freude, der höchste Ruhm eines christlichen Erziehers, zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben? Die gläubigen Menschen werden ihm dafür unendlich dankbar sein, und Gott selbst wird ihn belohnen. Denn Welt und Kirche brauchen sie jetzt so dringend: die christlichen Bekenner.