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Tonsur und Einkleidung in Lindau

Am Samstag, den 21. Oktober 2023, empfingen 17 Kandidaten des Priesterseminars St. Petrus – davon fünf aus der deutschsprachigen Sektion – durch Erzbischof em. Wolfgang Haas die Tonsur und das geistliche Gewand. Tags zuvor waren sie feierlich in die Petrusbruderschaft aufgenommen worden.
 

 

Die Zeremonie fand – wie schon in den vergangenen Jahren – in Lindau am Bodensee im Münster "Unserer Lieben Frau" statt. Der prächtige Rokoko-Bau fand auch in der Predigt des Bischofs Erwähnung: "In der Schönheit dieses Gotteshauses verstehen wir, was es bedeutet, katholisch zu sein", so Haas, "hier werden wir uns der Schönheit unserer Berufung bewusst." Im Adsum, das die Kandidaten sprechen, komme die Hingabe und die Bereitschaft, Gott zu dienen, zum Ausdruck. Allerdings, betonte der Bischof, müsse man sich immer wieder neu auf dieses Adsum hin bekehren und "aufs Neue das Gespräch leben mit demjenigen, der uns berufen hat." Es sei aber eine Gnade, "diesen schönen Weg gehen zu dürfen".

Die Tonsur bedeutet nach traditioneller Praxis, wie sie in der Priesterbruderschaft noch gepflegt wird, die feierliche Aufnahme in den Klerikerstand. Während dem Kandidaten zeichenhaft einige Kopfhaare entfernt werden, spricht dieser gemeinsam mit dem Bischof die Worte aus Psalm 15: Dominus pars haereditatis meae et calicis mei; tu es qui restitues haereditatem meam mihi. – Der Herr ist mein Erbteil und Anteil meines Kelches; du bist es, der mir mein Erbteil verleiht.

Den Abschluss bildet die Übergabe des Chorrocks, bei welcher der Bischof betet: „Erhöre, o Herr, unser Flehen und segne in deiner Güte diese Deine Diener, denen Wir in Deinem heiligen Namen das Kleid des geistlichen Standes anlegen. Mit Deiner Hilfe mögen sie in Deiner Kirche in Hingabe verharren und das ewige Leben erlangen.“ So wird durch dieses Gebet der eigentliche Sinn des Klerikats zum Ausdruck gebracht: Gott in seiner Kirche zu dienen. Dieser Gottesdienst ist vor allem die Liturgie, in welcher der Kleriker besondere Aufgaben übernimmt: im Seminar zunächst als Thuriferar, in den folgenden Jahren auch als Lektor, Zeremoniar, Kapitular, Akolyth, Subdiakon, und schließlich im Weihesakrament unmittelbar dem Opfer Christi am Altar als Diakon dienend und als Priester es darbringend.

Schon der Psalmvers ist ein Hinweis auf das besondere Wesen des Klerus, sowohl im Alten wie auch im Neuen Bund: Während alle Stämme Israels einen Erbteil am Land erhalten haben, war der Erbteil des Stammes Levi, Gott liturgisch zu verehren und den Dienst am Heiligtum zu verrichten (vgl. Num 18,20; Dtn 10,8–9). Der Stamm erhielt nach biblischem Bericht keinen Anteil am verheißenen Land als Existenzgrundlage, sondern Gott selbst war der Erbteil der Leviten, in deren Nachfolge der Kleriker mit der Tonsur tritt. Die tonsurierten und niederen Kleriker haben zwar noch keine Teilhabe am dreistufigen Sakrament des Ordo (Weihesakrament), sind aber darauf ausgerichtet, wie die einstigen Leviten den aaronidischen Priestern als Gehilfen zugeordnet waren (vgl. Num 3,5–10).

Text: Jonas Dlugi / Fotos: Eloi Cochin