Tonsur und Einkleidung 2014

18 Seminaristen empfingen am 25. Oktober die Tonsur und
erhielten das geistliche Gewand aus den Händen S.E. Erzbischof Wolfgang Haas

von Dr. Philipp Stenzig, Seminarist

 
„Dominus pars hæreditatis meæ et calicis mei – der Herr ist mein Erbteil, der Anteil meines Kelches“, rezitieren die Seminaristen, die sich vor dem Bischof niederknien, der sich nun anschickt, ihnen die Tonsur zu erteilen; „Tu es, Domine, qui restitues hæreditatem meam mihi – du bist’s Herr, der mein Erbe mir erstattet“, erklingt es vielstimmig von der Tribüne der Münsterkirche Unserer Lieben Frau, da die Schola in das Gebet der Kandidaten einstimmt; wie zur Antwort greift sie den Gesang aus dem 15. Psalm auf und verwandelt ihn in ein Echo der Versprechen, die jeder einzelne von ihnen in diesem Augenblick ablegt. Im Rituale sind diese Worte überschrieben mit dem Titel „Cantus adoptionis – Adoptions-Gesang“, und tatsächlich adoptiert in gewisser Hinsicht die Kirche diese jungen Männer, die ihr heute zum heiligen Dienste übereignet werden. Sie werden Teil einer neuen Familie, der großen Familie des Klerus, und sind fortan der Welt entzogen, um ein besonderer geistlicher Stand zu sein, der dem Kult gewidmet ist und der Heiligung der Seelen.
„Ordo clericos faciendi per tonsuram“, wörtlich also „Ordnung, durch die Tonsur Kleriker zu machen“ so lautet entsprechend die Überschrift jener Anleitung, der die Zeremonie dieses festlichen Tages folgt. Der Titel wirkt beinahe befremdlich – kann man denn Kleriker machen, so ganz nach Bedarf und Belieben? Menschenhand freilich ist solches Machen nicht verfügbar, der Bischof aber, der jetzt geduldig einem Kandidaten nach dem anderen je fünf Strähnen seines Haupthaares abschneidet, er handelt nicht in eigenem Namen, sondern im Namen Christi, der diese jungen Männer herausgerufen hat in seine Nachfolge, um sie, wenn es ihm gefällt, einst zu seinen Priestern zu machen.

Für die 18 Seminaristen des zweiten Studienjahres, die am 25. Oktober von Erzbischof Wolfgang Haas (Vaduz) in der sonnendurchfluteten Münsterkirche zu Lindau tonsuriert wurden, war dies der ergreifende Höhepunkt einer Transformation, deren erster Teil, die Einkleidung mit dem geistlichen Gewand, bereits einige Minuten zuvor stattgefunden hatte: Ein letztes Mal hatten sie, unter den Augen ihrer von weither angereisten Angehörigen, das Kirchenschiff in der Tracht ihres bisherigen, weltlichen Standes betreten, sie hatten mit einem vernehmlichen „Adsum! – Da bin ich!“, auf das „Accedant“ geantwortet, das der Seminarobere, Dr. du Faÿ de Choisinet, im Namen der Priesterbruderschaft St. Petrus an sie gerichtet hatte, und sie waren mit der schwarzen Soutane überkleidet worden, die sie fortan als Männer der Kirche und als Geistliche kennzeichnen wird. Dieses Gewand wird ihnen künftig vielfach einen Respekt und eine Ehrerbietung eintragen, die nicht ihnen gelten, sondern demjenigen, den sie repräsentieren, und es wird ihnen andernorts, auch das ist absehbar, Hohn und Verachtung bescheren, die gleichfalls nicht ihnen, oder nicht ihnen allein gelten, sondern demjenigen, den sie repräsentieren und seiner Kirche. In jedem Fall aber wird es sie selbst an ihren Stand erinnern, und an die Versprechen, die sie bei Ihrer Inkorporation abgelegt haben und noch ablegen werden, und es wird Ihnen eine Mahnung sein, diesen Versprechen treu zu bleiben.
Die 18, die dort niederknieten und als Kleriker wieder aufgestanden sind, sie wurden begleitet von den Familien, aus denen sie hervorgingen sind, die das dicht gefüllte Kirchenschiff bevölkerten, und die sie auch weiterhin tragen werden und tragen werden müssen – auch als Seminaristen und später als Priester bleiben sie Kinder ihrer Eltern und Söhne ihrer Heimat, die Natur, auf welche die Gnade aufbaut, ist eine ihnen mitgegebene.
Wie jedes Jahr stehen auch diese Seminaristen für vielfältige Zugänge zur geistlichen Berufung, ganz unterschiedliche Werdegänge haben sie ins Seminar geführt. Der jüngste der Promotion ist direkt nach seinem Schulabschluss, dem Baccalaureat, im Alter von 18 Jahren ins Seminar eingetreten, der älteste, ein Rittmeister der Landstreitkräfte, ist 39 Jahre alt und hat je zwei Einsätze im Libanon und an der Elfenbeinküste hinter sich. Er trat, das ist so üblich, in seiner Uniform an den Altar, die mit Auszeichnungen reich geschmückt war. Zahlreiche Seminaristen haben sich in verschiedenen Pfadfinder-Einheiten bewährt, die sich immer wieder als fruchtbarer Nährboden für Priesterberufungen erweisen. Vertreten sind unter anderem die VIIe Paris, die Scouts d’Europe, die Europa-Scouts, die Scouts unitaires de France und im deutschen Sprachraum die Katholische Pfadfinderschaft Europas, die auch der traditionellen Liturgie treu verbunden ist. Unter den Tonsuranden fanden sich aber auch ein studierter Archäologe, ein Ökonom und zwei Absolventen des renommierten „Institut pour philosophie comparée“, die beiden letzteren sind von den Philosophievorlesungen befreit, den Professor, der am Seminar Logik, Methodologie und Erkenntnistheorie lehrt, kennen sie schon von zu Hause. Insgesamt waren 10 Franzosen, drei Deutsche, zwei Polen und je ein Italiener, Luxemburger und Österreicher unter den Kandidaten. Sie alle erbitten Ihr Gebet!