Was darf Satire?

Scheinbar setzen respektlose und zynische Satiriker die Tradition der alten Hofnarren fort.
Doch in Wirklichkeit liegen Welten zwischen ihnen.

von P. Bernward Deneke FSSP

„Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist“, heißt es in einer Kolumne für das Berliner Tageblatt, veröffentlicht im Jahr 1919 unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel. Hinter diesem steht die spitze Feder des Zeitkritikers Kurt Tucholsky (+ 1935). Die Überschrift seines Artikels: „Was darf Satire?“
Erst am Ende wird die Frage beantwortet, und zwar mit nur einem einzigen Wort. Zuvor zählt Tucholsky einige Charakteristika der Satire auf: Sie „muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten. (…) Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.“ Dann das Ergebnis der Untersuchung: „Was darf die Satire? Alles.“

Tucholskys Verteidigung satirischer Freiheit scheint mit der sprichwörtlichen „Narrenfreiheit“ übereinzustimmen, die – zumindest theoretisch – vom christlichen Mittelalter bis in die Neuzeit gewährt wurde. Ihr zufolge durfte den geistreichen Mahnern an Höfen und in Städten auch dann kein Maulkorb verpaßt oder noch Ärgeres angetan werden, wenn ihre Worte oder Possen empfindliche Stellen berührten. Genau darin bestand ja die Aufgabe des Narren. Während kirchliche Prediger die Gewissen der Menschen, ob gelegen oder ungelegen, mit Geduld und Lehre zurechtweisen sollen (vgl. 2 Tim 4, 2), vermittelte der Narr seine Botschaft in anderem Tonfall. Gespielte Dummheit, tollpatschige und groteske Späße sowie Worte voller Witz und Hintersinn gehörten zu seinem Repertoire. So konnte er unbequeme Wahrheiten mit einem Humor vortragen, der im eigentlichen Sinne „entwaffnend“ war. Das Vorgehen des Narren glich vielfach dem der alttestamentlichen Propheten. Hatte nicht Nathan dem König David seine schwere Schuld – immerhin Ehebruch und Veranlassung einer Tötung – anhand einer Parabel vor Augen gestellt: Ein reicher Mann vergreift sich am Lamm seines armen Nachbarn … (2 Sam 12, 1-24)? Aus Narrenmund wäre hier allerdings ein Bußruf in vordergründiger Heiterkeit ergangen. Jedenfalls ist die Kritik an den Sitten der Menschen, zumal der Herrschenden, an ihren Eitelkeiten, ihrem Machtmißbrauch und ihren Lebenslügen das ureigene Terrain des Narren wie des Satirikers. Beide bedienen sich dazu jenes Gemischs aus Komik und Didaktik, das ihre Ausführungen wirkungsvoll, zuweilen geradezu unwiderstehlich macht.

Ist nun die Freiheit von Narretei und Satire tatsächlich grenzenlos? Für den klassischen Hofnarren ist die Frage glattweg zu verneinen. Er stand letztlich immer im Dienst der (oft unbequemen) Wahrheit und des Guten, war also strengen Maßstäben verpflichtet. Und wenn er sich den hohen Herren gegenüber manche Respektlosigkeit herausnehmen konnte, so durfte er das nicht vor dem höchsten Herrn: Klare Grenzen waren dem Narren dort gesetzt, wo der Bereich des Heiligen beginnt und jeder Übergriff zum Frevel wird. Hier noch Narrenfreiheit zu gewähren, hätte seine Arbeitgeber selbst in schweres Unrecht vor Gott und den Menschen gesetzt. Unserer Zeit ist diese Sichtweise fremd geworden. Mit beißender Ironie schreibt Tucholsky in einem „Schnipsel“ aus dem Jahr 1929: „Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.“ Doch damit ist nur auf andere Weise gesagt, daß die Satire für Tucholsky und Co prinzipiell alles darf. Wo nichts mehr heilig ist, wird alles zum möglichen Gegenstand von Spott und Hohn.

Nimmt ein solcher Satiriker trotzdem Rücksicht auf die Gefühle anderer und übt Zurückhaltung aus Sorge um den sozialen Frieden und die öffentliche Sicherheit, so mögen sich darin Empathie und Verantwortungsbewußtsein ausdrücken. An der grundsätzlichen Einstellung aber ändert es herzlich wenig. Stehen nun diejenigen, die für Beschränkungen der Narrenfreiheit plädieren, damit schon unter Verdacht, humorlose Moralisten oder neurasthenische Sensibelchen ohne „gesundes Blut“ und „reinen Teint“ zu sein? Zu Unrecht! Denn wie sich geistige Frische z.B. darin zeigt, daß einer es nicht hinnehmen will, das Andenken seiner geliebten Eltern in den Schmutz gezogen zu sehen, so ist es auch ein Zeichen von Vitalität, wenn gläubige Christen gegen blasphemische Machwerke aufstehen, gleich, ob diese sich als „ernsthafte Kunst“ präsentieren oder ihre Hohlheit offen als Ulk und Blödelei zur Schau tragen.

Mit der Heiligen Schrift gesagt: Satire darf nicht behaupten, ihr sei alles erlaubt, denn nicht alles dient zum Guten und erbaut (vgl. 1 Kor 10, 23). Sie darf nicht „die Freiheit zum Vorwand für das Fleisch nehmen“ (Gal 5, 13) – für das Fleisch, zu dessen Werken nach Paulus u.a. Unzucht, Unsittlichkeit, Ausschweifung, Feindseligkeiten, Zerwürfnisse, Zwietracht, Parteiungen und Neid gehören (vgl. Gal 5, 19f.). „Wer auf das Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten“ (Gal 6, 8), und – hochaktuell! – : „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ (Os 8, 7). Was für jeden Menschen Sünde ist, ist es auch für den Satiriker. Daher darf Satire nur, was sie von Gott her darf. Die alten Narren wußten das noch, keineswegs zum Schaden für ihren Humor.