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Von Gott gerufen

Was verstehen wir unter einer Berufung? Weshalb ist sie
ein Geheimnis? Und warum bedarf sie kirchlicher Prüfung?

von P. Bernward Deneke FSSP

Ein eigentümliches Erlebnis: Man geht mutterseelenallein durch ein einsames Waldstück, erfüllt von der Gewissheit, dass sich niemand, aber auch wirklich niemand in der Umgebung befindet, und da vernimmt man ganz unerwartet, klar und deutlich ausgesprochen, den eigenen Namen. Erschrecktes Zusammenzucken ist wohl unvermeidlich. Die Plötzlichkeit der Stimme verwundert, mehr noch der eigene Name, der gerufen wird und wie durch Mark und Bein dringt.

Eine geistliche Berufung hat schon etwas von dieser Szene an sich. Zwar findet sie keineswegs immer, vielleicht sogar nur sehr selten in derart überraschender Weise statt. In seltenen Fällen finden wir das Verstörende der Stimme aus dem brennenden Dornbusch an Moses (Ex 2-4), die überwältigende Herrlichkeit der Tempelvision des Propheten Isaias (Is 6) oder die Urgewalt der Christuserscheinung des Saulus, die ihn vor Damaskus zur Erde niederstreckt (Apg 9). Gleichwohl ergeht ebenso in den weniger dramatischen Berufungssituationen ein Anruf, und zwar ein namentlicher Anruf, aus dem Jenseits an einen diesseitigen Menschen. Auch dann, wenn es eine sichtbare Person, ein Buch oder ein bestimmter Lebensumstand ist, von dem die Aufforderung ausgeht: „Komm, folge mir nach, ich will dich zu einem Menschenfischer machen!“ (vgl. Mt 4,19) – auch dann spricht durch dieses Werkzeug hindurch letztlich die Stimme Gottes selbst.
Der Geheimnischarakter der Berufung wird durch die zumeist sehr nüchterne kirchliche Lehrverkündigung nicht abgeschwächt. Zwar ist in den entsprechenden Dokumenten das Bemühen um Entmystifizierung unverkennbar, wenn sie betonen, es gehe in der Berufung nicht notwendig um unvermittelt hereinbrechende, außerordentliche Phänomene, vielmehr um einen Klärungsprozess anhand verschiedener Kriterien. Dennoch, das Geheimnis des Berufungsgeschehens bleibt dadurch unangetastet, denn es ist ja Gott selbst, der sich nach unerforschlichem Ratschluss und in souveräner Freiheit an diesen Menschen wendet, ausgerechnet an ihn! Es mag sich dabei um ein unschuldiges Kind oder einen in Sünden ergrauten Erwachsenen handeln, um eine wenig gebildete oder eine gelehrte Person, um arm oder reich – immer ist es Gott, der ruft, tiefinnerlich und verborgen oder geradezu öffentlich, donnernd wie Posaunenschall oder wie ein zarter Windhauch, freundlich einladend oder streng fordernd, sich wiederholend oder nur ein einziges Mal.

Hier ist eine Nebenbemerkung am Platz. Früher meinte man mit „Berufung“ normalerweise diejenige zum Priestertum oder zu einem gottgeweihten Leben im Ordensstand. Für viele Katholiken ist das nach wie vor selbstverständlich. Seit dem letzten Konzil (Lumen gentium Nr. 39-42) aber besteht die kirchliche Verkündigung darauf, dass es eine allgemeine Berufung zur Heiligkeit gibt. Alle sind berufen! Es stellt sich die Frage: Weshalb in die alte Gewohnheit eines einengenden Sprachgebrauchs zurückfallen?
Dazu ist Folgendes zu sagen: Tatsächlich hat der himmlische Vater sein Volk aus den Heidenvölkern heraus- und in seinem Sohn zusammengerufen; das ist die Bedeutung des neutestamentlichen Wortes für Kirche, ekklesia („Herausgerufene“). Der Heilige Geist teilt innerhalb des Leibes Christi die verschiedenen Gaben und damit die Aufgaben zu (1 Kor 12,4 ff.), auch das ist ein Berufungsvorgang. Und ganz individuell ruft Gott durch persönliche Einsprechungen, durch Fügungen des Lebens. Jeder, der, ob in einem stillen Waldstück oder anderswo, gläubig lauscht, kann in der Tiefe seines Herzens die Stimme Gottes vernehmen, die ihn beim Namen nennt. Es gilt: „Die er vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, und die er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt ...“ (Röm 8,30) So verstanden, sind also alle Glieder der Kirche und letztlich sogar alle Menschen, da Gott ihre Rettung will (vgl. 1 Tim 2,4), Berufene.
In den typischen Berufungsszenen der Heiligen Schrift jedoch wird jeweils geschildert, wie Menschen einen besonderen Ruf vernehmen, der sie in die engere Nachfolge, in den speziellen Dienst weist. Es ist naheliegend, unter Berufung zunächst diesen präzisen Vorgang zu verstehen und erst in einem abgeleiteten Sinne die allgemeine Berufung. Sonst droht der Begriff durch Ausweitung seines Inhaltes an Klarheit zu verlieren und, was allenthalben festzustellen ist, ein eher farbloses Allerweltswort zu werden. Dass aber durch Hervorhebung des einen das andere keineswegs abgewertet wird, braucht wohl nicht eigens gesagt zu werden. Soweit die Nebenbemerkung.

Den persönlichen Anruf Gottes, der sich an den erwählten Menschen richtet, nennt man in der systematischen Darlegung der Theologie das „elementum divinum“, also das göttliche Element des Vorgangs. Dieses enthält viel mehr als nur einen Ruf und Auftrag. Gottes Wort ist ja voller Leben und Kraft und schärfer als ein zweischneidiges Schwert (vgl. Hebr 4,12). Es ist vor allem schöpferisch: Gott spricht, und es geschieht das, was er sagt. Das gilt von der Berufung, denn in ihr findet eine Mitteilung statt, die alles das zumindest keimhaft enthält, dessen der Mensch für seinen göttlichen Auftrag bedarf.
Jetzt haben wir uns schon weit von dem Bild des einsamen Wanderers, der unerwartet den Klang seines Namens vernimmt, entfernt. Die folgende Definition, typisch für die theologischen Handbücher früherer Zeit, hebt vor allem auf dasjenige an der Berufung ab, das in keinem zwischenmenschlichen Geschehen eine wirkliche Entsprechung findet: „Die Berufung ist Erwählung eines Menschen, verbunden mit der Ausstattung der für diesen Beruf notwendigen natürlichen und übernatürlichen Begabungen.“

Es werden also mit der Erwählung und mit der Anrede Gaben verliehen. Gott bereitet sich seinen Diener, so wie ein Gutsbesitzer seinem Knecht die Instrumente überreicht, die dieser braucht, um eine bestimmte Arbeit im Wald oder auf den Feldern des Anwesens zu verrichten. Die Gaben, von Gott in den erwählten Menschen gelegt, lassen sich dreifach unterscheiden: Gabe der Neigung, der Eignung und der Absicht. Die erste schafft ein Hingezogensein zu dem entsprechenden Stand und Beruf, die zweite macht dessen Erlangung und Bewältigung möglich, die dritte heiligt ihn durch die reine Gesinnung, ohne die das geistliche und apostolische Tun wenigstens eines guten Teils seiner Segenskraft beraubt würde. Diese Gaben sind Anlagen und Aufgaben, die noch zu entfalten sind. Samenkörner, die im guten Erdreich heranwachsen sollen (Mk 4,1 ff.).Und Talente, die der Herr vermehrt sehen will (Mt 25,14 ff.).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Frankreich eine Kontroverse über das Verhältnis ausgetragen, in dem Neigung, Eignung und Absicht in der priesterlichen Berufung zueinander stehen. Viele eifrigen Christen neigen wohl dazu, dem inneren Herzensdrang und -antrieb den Vorrang zu geben oder die aufrichtige Gesinnung für das Entscheidende zu erachten: „Hauptsache, einer brennt wirklich und meint es ganz ernst.“ Die Begabung, die geeignet macht, gerät dabei leicht ins Hintertreffen, denn allzu menschlich scheint ein Denken zu sein, das Fähigkeiten wichtig nimmt.
Das kirchliche Machtwort zu der Streitfrage erging durch eine Kommission, die der hl. Papst Pius X. eingesetzt hatte. Sie befand: Bei der Berufung müsse es nicht unbedingt um eine besondere „Inspiration des Subjektes“ gehen, um „Einladungen des Heiligen Geistes, das Priestertum zu übernehmen“. Die gefühlsmäßige Hinneigung sei eher nebensächlich. Als Bedingung genüge vielmehr die Eignung, die Tauglichkeit für den Beruf, verbunden mit der rechten Intention. Zuständig zur Prüfung und zur Entscheidung darüber, ob ein Ruf Gottes mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt und jemand folglich zugelassen wird, sei die kirchliche Obrigkeit.

„Ja, aber ich weiß es doch ganz sicher, dass ich auf einem Weg im Wald, an dieser bestimmten Stelle den Ruf meines Namens gehört habe“, könnte ein abgelehnter Kandidat einwenden. Mag sein, dass er sich darin sicher ist. Aber die Deutung des Vorgangs liegt nicht bei ihm, noch weniger die Entscheidung, ob er denn auch im Mystischen Leib Christi, verbunden mit Haupt und Gliedern, einen bestimmten Dienst tun soll. Das haben diejenigen zu beurteilen, die mit der Vollmacht des Hirten ausgestattet sind.
Damit ist der Sprung vom „elementum divinum“ zum „elementum ecclesiasticum“, zum kirchlichen Element schon gemacht. Im Angesicht der konkreten Kirche muss sich also erweisen, dass der Gerufene tatsächlich die physischen und psychischen, die intellektuellen und religiös-charakterlichen Voraussetzungen mitbringt, die der Beruf verlangt. Ebenso, ob sein Entschluss dazu wohlüberlegt, fest und frei ist, getragen von einer wahrhaft geistlichübernatürlichen und kirchlich-apostolischen Gesinnung. Was sich an einer persönlichen Begegnung mit Christus entzündet und im inneren Heiligtum der Seele zunehmend entfacht hat, das soll eben nicht unter dem Scheffel verborgen bleiben, sondern auf den Leuchter gestellt und auf die Beständigkeit seines Brennens hin geprüft werden (Mt 5,15). Das Geschenk der Berufung soll ja dazu beitragen, die Stadt auf dem Berge heller leuchten zu lassen. Und es soll letztendlich der allgemeinen Berufung der Menschen zum Heil und zur Heiligkeit dienen.
 


Falls Sie unser Priesterseminar in Wigratzbad besuchen möchten, um die Berufung zu prüfen und um die Gemeinschaft kennenzulernen, können Sie sich an den Leiter des Spiritualitätsjahres, P. Bernward Deneke, wenden. P. Deneke ist unseren Freunden im Deutschsprachigen Distrikt großteils bekannt. Im Jahr 1968 geboren, trat er nach dem Abitur 1987 ins Priesterseminar ein. 1988 gehörte er zu den Studenten, die in der neugegründeten Priesterbruderschaft St. Petrus ihre Heimat suchten. Am 3. 7. 1993 erhielt er die Priesterweihe und wirkte danach als Leiter des Spiritualitätsjahres bis zum Jahr 2000. Danach war er für drei Jahre Regens des Priesterseminars St. Petrus. Während der darauffolgenden sechs Jahre wirkte er als Priester in St. Pelagiberg. Seit dem Herbst 2009 hat er wieder die Leitung des Spiritualitätsjahres übernommen.
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