Vom „Weekend“ zum Sonntag

Der Sonntag ist die Seele des katholischen Lebens. Wenn der Sonntag stirbt,
verkümmert das Leben mit Gott und der Alltag wird allzu schwer.
von P. Dieter Biffart FSSP


Freizeit ist zu einem Schlüsselbegriff unserer Zeit geworden. Man arbeitet schließlich nicht zuletzt dafür, sich möglichst viel Freizeit leisten zu können. War es früheren Generationen selbstverständlich, dass nach getaner Arbeit der Sonntag Mitte ihres Lebens war, ist der Herrentag längst vom „Wochenende“, vom „Weekend“, während dessen man sich großzügig Freizeit gönnt, verdrängt worden. Und dies so ausgiebig, dass bei vielen Zeitgenossen keine Stunde Zeit für Gott bleibt, der uns jeden Augenblick unseres Lebens trägt und begleitet – „in der Arbeit, in der Ruh“, wie ein beliebtes Kirchenlied beschwört: „Alles meinem Gott zu Ehren“!

Aus christlicher Sicht ist der Sonntag aber nicht das „Weekend“, sondern der erste und höchste Tag der Woche, weil Christus am ersten Tag nach dem Sabbat von den Toten auferstanden ist. Wie von selbst ergibt sich für den Christen, dass er diesen Tag heilig hält, ist der Tag der Auferstehung doch der Tag überhaupt, das Weltereignis schlechthin, an dem der Mensch dem ewigen Verderben entrissen wurde und nicht mehr der Sünde und nicht mehr dem Tod preisgegeben ist. Die Ruhe des Ostermorgens feiert der Christ in der Ruhe des Sonntags, den Frieden des Ostertages findet er am Sonntag wieder, jenseits der Hektik und aller Zerrissenheit des Alltags.
Wie sehr das Gesetz der Ruhe nach jedem siebten Tag dem Menschen eingeschrieben ist, legten auch jene Gott feindlichen Systeme offen, die den Menschen von der Heilighaltung des Sonntags abbringen wollten, indem sie anstelle der Sieben-Tage-Woche eine Dekade, eine Zehn-Tage-Woche einführten: so geschehen etwa in der französischen Revolution. Nur alle zehn Tage sollte ein Ruhetag alles Werken und Arbeiten unterbrechen, um so die Menschen dem Tag des Herrn zu entfremden. Doch das Projekt scheiterte; denn was dem Menschen von seinem Schöpfer in Weisheit von Natur aus eingeschrieben ist, kann der Mensch nicht zerstören, ohne sich dabei selbst zu ruinieren.
Heute gibt es eine Reihe von anderen Versuchen, die Sonntagsheiligung auszuhöhlen: verkaufsoffene Sonntage, Sonntagsarbeit, Freizeitstress … Wieder einmal bewahrheitet sich die Richtigkeit eines alten Sprichwortes: „Gottes Feiertag ist des Teufels bester Werktag.“
Es gilt also, den Sonntag als Seele der Woche, als Mittelpunkt des christlichen Lebens in seiner ganzen Fülle neu zu entdecken. Herz des Sonntags ist die Mitfeier der hl. Messe. Das dritte der zehn Gebote Gottes wird in einem Kirchengebot konkret angewandt: „Du sollst an Sonntagen und an den gebotenen Feiertagen der Messe andächtig beiwohnen.“
Dieses hoch verpflichtende Gebot – wer es leichtfertig nicht befolgt, begeht eine schwere Sünde gegen Gott – zeigt uns die Sorge der Kirche für unser Seelenheil auf. Ohne die Früchte des hl. Messopfers verkümmert die Seele, wird sie schwach, vergisst über den mannigfachen Erfordernissen, Umtrieben und Versuchungen des Alltags den Himmel. Ohne die Heiligung des Sonntags dünnt der Mensch aus, wird zur rissigen und leeren Zisterne, die Seele stirbt.
Der Sonntag ist der Tag, an dem wir Gott die Ehre geben – nirgendwo können wir aber Gott mehr ehren, als in der hl. Messe, in welcher Christus dem Vater vollkommen Ehre und Lob erweist, und wir uns dem gegenwärtig werdenden Opfer des Gottessohnes anschließen können. Manche Zeitgenossen behaupten: „Zur Sonntagsheiligung brauche ich nicht in die Kirche zu gehen, ich gebe Gott im Wald die Ehre!“ Doch dies verkennt völlig die von Gott geschenkte Erlösung, die uns im hl. Opfer der Messe zuteil wird.
Manchmal ist die Teilnahme an einer hl. Messe bereits in unseren Ländern mit Mühe verbunden, etwa durch eine längere Autofahrt. Aber was sind diese Mühen im Vergleich zu jenen, welche die Christen in vielen Teilen der Erde auf sich nehmen, wenn sie etwa in islamisch dominierten Ländern unter Lebensgefahr den Sonntag heiligen und damit den Heilswert der hl. Messe mit ihrem Leben bezeugen! Diese Christen sind es auch, die heute die ruhmvolle Geschichte der ersten christlichen Jahrhunderte weiterführen: Unter dem römischen Kaiser Diokletian (+ 312) wurde einst das Verbot erlassen, am Sonntag dem hl. Opfer beizuwohnen. Die Christen von Abitene im heutigen Tunesien gingen trotzdem und wurden zum Tod verurteilt. Ihre mutige Antwort vor dem Richter offenbart uns die Bedeutung des Sonntags für das ewige Leben: „Sine Dominica non possumus“ – „Ohne den Herrentag können wir nicht leben“. Aus einer tiefen Sorge um das Seelenheil hat die Kirche daher den Besuch der Messe am Tag des Herrn zum Gebot erhoben. Was nützte auch das leibliche Wohl, wenn die Seele Schaden leidet? Früher fiel es auf, wenn einer am Herrentag Gott nicht die Ehre erwies, heute sticht man heraus, wenn man den Sonntag heilig hält. In manchem Lebensumfeld ist der Kirchgang geradezu ein öffentliches Bekenntnis geworden, das die Gläubigen umso mehr herausfordert, den Glauben zu leben und durch Werke zu bezeugen, auf dass es am Ende nicht über uns heiße: „Am Sonntag gehen sie fromm in die Kirche, am Montag sind sie Tyrannen, schlimmer als die Ungläubigen.“ Das bedeutet: Der Sonntag ist mit dem Schlusssegen der hl. Messe nicht vorbei, denn kurz zuvor werden wir mit den Worten: „Ite, missa est – Gehet hin, ihr seid gesandt“ in die Welt geschickt. Es wäre eine sträfliche Verkürzung des dritten Gebotes, wenn man die Sonntagsheiligung auf die Stunde des Kirchgangs reduzieren würde, und sonst alles dem Alltag der Weltmenschen ähnelte. Die Messe soll Höhepunkt des Sonntags sein, von dem aus der Rest des Tages und des Lebens (!) umfangen und getragen wird.
Am Sonntag gibt uns Gott durch das Gebot der Ruhe Zeit, dass wir uns großzügiger und bereitwilliger Ihm und dem Nächsten widmen: Wenn das gemeinsame Gebet in der Familie während der Woche aufgrund der vielfältigen Ereignisse nicht selten zu kurz kommt, so sollte gerade am Herrentag das gemeinsame Gebet vermehrt gepflegt werden, da es nichts gibt, was die Familienbande enger knüpft und im Übernatürlichen mehr wachsen lässt, als das im Familienkreis geeinte Gebet. Wie leicht geschieht es, dass man in der Familie nebeneinander statt miteinander lebt. Der Sonntag ist für die Familien eine gute Gelegenheit, von der gemeinsamen hl. Messe ausgehend, den Tag vereint zu verbringen, damit man sich nicht aus den Augen verliert. So wird der Sonntag auch der Tag, an dem man offener für die Wünsche, Anliegen und Nöte des Nächsten sein sollte, weil die im Alltag oft so eng getaktete Zeit aufgebrochen werden kann, sofern man die Sonntagsruhe großzügig einhält und sie nicht auf das Minimum des Verzichtes auf knechtliche Arbeit reduziert.
Der Sonntag ist durch die von Gott geschenkte freie Zeit daher eine hervorragende Gelegenheit, sich auch in den Werken der Nächstenliebe zu üben. Wenn die Arbeitslast es oft nicht zulässt, alte, einsame und kranke Menschen während der Woche zu besuchen, so ist die Sonntagsruhe immer auch eine Einladung, den Glauben, den wir in der hl. Messe bekennen, durch Liebeswerke lebendig werden zu lassen.
Erholung wird von unserer „Spaßgesellschaft“ als das definiert, wozu man gerade Lust hat. Selbstverständlich sollen die eigenen Interessen entfaltet werden. Wer sich in seiner freien Zeit aber auch dem Nächsten zuwendet, wird feststellen, dass Geben seliger als Nehmen ist, und dass Gott auf größere Weise zurückgibt, wenn wir uns verschenken.
Warum gibt es heute so viele Menschen, die sich ausgiebig sich selbst in ihrer Freizeit widmen, und dennoch trotz all der ausgefüllten Tage ihr Leben als unerfüllt erfahren? Immer schneller, höher, weiter müssen die Abenteuer sein, die Selbstverwirklichung versprechen und doch in eine Leere entlassen, die allein ein Leben aus Gott erfüllen kann.
Wie schön wäre es, wenn man den Gläubigen nicht allein daran erkennen würde, dass er dem Ruf der Kirchenglocken am Sonntagmorgen folgt, sondern darüber hinaus an der Haltung, mit der er den ganzen Herrentag umgibt, in der Zuwendung an seine Familie und an den Nächsten.
Es ist an der Zeit, dass wir der Entchristlichung unserer Gesellschaft entgegenwirken, indem wir ausgiebig eine Kultur des Sonntags pflegen, den ganzen Menschen erfassend. Auch das Äußere darf sich am Sonntag vom Werktag durchaus abheben. Die älteren Menschen kennen noch das „Sonntagskleid“, das man nur für die heiligen Tage anlegte. Es soll kein zur Schau Stellen sein, wenn die Gläubigen den Tag des Herrn auch durch eine feierlichere Kleidung ehren. Aber wenn sich Menschen für weltliche Anlässe schmücken, warum sollte es für den Allerhöchsten nicht angemessen sein, ein „hochzeitliches Gewand“ (vgl. Mt 22,12) anzulegen?

In allem ist dem Inneren der Vorzug zu geben – das Erste, was es zu schmücken gilt, ist zweifelsohne unsere Seele, auch durch eine Vorbereitung auf die Sonntagsmesse, bereits am Vorabend. Doch das Innere drängt nach außen. Wer im Herzen den Sonntag heiligt, will auch den Leib an der Festfreude teilhaben lassen, etwa durch einen reichlicher gedeckten Tisch.
Wer sich ganzheitlich vom Sonntag tragen lässt, der wird im Alltag leichter bestehen können. Die Gnade des hl. Messopfers wird ihn erfüllen, die Sonntagsruhe wird ihm neue Kräfte schenken, wenn es heißt, wieder in die Niederungen des Alltags hinabzusteigen. Und wenn es während der Woche schwer werden sollte, kann der kommende Sonntag ein Lichtblick sein, auf den man zugeht, um sich erneut aus dem Alltag in die Welt Gottes zu stellen: „Das nenne ich Feiertag: Der die Menschen über sich hinaushebt. Der sie in das Unendliche taucht. Der sie mit dem Göttlichen verbindet. Der so das Tal dieser Welt in den Farbenglanz der Überwelt stellt. Feiertag!“ (Carl Sonnenschein)