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Im Trubel der Zeit Gott begegnen

Die große Herausforderung des Christseins besteht darin, dass wir unser Leben
nicht von unserem Glauben trennen, sondern mit ihm verbinden.

von P. Michael Ramm FSSP

Man kann es nicht leugnen: Die heutige Zeit ist von einer rastlosen Unruhe geprägt. Für viele Menschen gibt es als Alternative zur Arbeit nur noch die Zerstreuung. Entweder man arbeitet oder man zerstreut sich. Mittlerweile erreichen uns die modernen, zur Zerstreuung einladenden Medien sogar an den einsamsten und abgelegensten Orten der Welt. Wer als Alternative zur Arbeit nur die Zerstreuung kennt, dessen kontemplatives Leben droht im Strudel der Aktivität zu ersticken. Kontemplation ist das genaue Gegenteil von Zerstreuung: Sammlung. Oder, man könnte auch sagen: Konzentration auf das Wesentliche. Der kontemplative Mensch ist ausgerichtet auf das, was wirklich wichtig ist, auf sein letztes Ziel, auf Gott. Die Kontemplation ist das, was dem Sauerteig die Kraft gibt, alles zu durchsäuern. Wir können nur dann Sauerteig für die Welt sein, wenn wir uns selber von der Liebe Gottes durchdringen lassen. Der deutsche Philosoph Dietrich von Hildebrand sagt: „Der wahre Christ muss, koste es, was es wolle, für die Kontemplation einen Platz in seinem Leben erobern. Er darf sich nie und nimmer in einen Strudel der Aktivität hineinziehen lassen, in dem er ohne Atempause von einer zu erledigenden Aufgabe in die andere eilt.“ Um kontemplative Menschen zu werden, Menschen, die nicht nur einfach so dahinleben, sondern ein auf Gott bezogenes Leben führen, ist es unerlässlich, jeden Tag eine gewisse Zeit dem Gebet zu widmen. Jeder Christ muss sich darum bemühen, zu einem tiefen inneren Gebetsleben zu finden. Unser Gebet soll ein Verweilen der Seele bei Gott, ein sich in Gottes Gegenwart Hineinversenken sein. Auf keinen Fall aber soll das Gebet für uns nur eine zu erledigende Aufgabe unter anderen zu erledigenden Aufgaben sein. Dietrich von Hildebrand erklärt in seinem Buch „Umgestaltung in Christus“, dass ein tiefgründiges Gebet ein inneres Freiwerden voraussetzt. Das Gebet dürfe nicht nur in den Rhythmus des zu Absolvierenden eingereiht werden. Man müsse, um die Seele frei zu Gott erheben zu können, den Krampf der Aktivität lösen: „Alles, was ich sonst in meinen Armen halte und trage: Vor Jesus will ich es fallen lassen – aber es fällt dann nicht ins Leere. [...] alle schweren Sorgen und alle großen Anliegen, die eigenen und die Anliegen geliebter Seelen. Ich verlasse sie nicht, wie ich sie verlassen würde bei einer Zerstreuung, [...] wenn ich bei Seinem Ruf alles verlasse und sinken lasse, so bedeutet das nicht ein Wegwerfen, sondern im Gegenteil: dass ich alles an die richtige Stelle setzte.“

Ein christliches Leben ohne Kontemplation ist wie ein Organismus ohne Herz - tot. Seien wir uns bewusst, dass der Feind immer auf das Herz zielt. Wenn das Herz schwach ist, ist der ganze Leib geschwächt. Die Kontemplation, das Herzstück des geistlichen Lebens, unsere Verbindung zu Gott, droht heute mehr denn je in einem rastlosen Aktivismus zu ersticken. Von den Schwestern der hl. Mutter Theresa berichtet man, sie hätten sich über die viele Arbeit mit den Armen und Kranken beklagt. Es stünde ihnen zu wenig Zeit zur Verfügung, sich der großen, unermesslichen Not der Menschen annehmen zu können. Auf das Klagen der Schwestern hin traf Mutter Theresa eine weise Entscheidung. Sie beschloss, den Organismus vom Herzen her zu stärken und führte in ihrem Orden die tägliche Anbetungsstunde ein.

Echte Kontemplation bringt als Frucht die Tugend der Frömmigkeit hervor. Bei der Tugend der Frömmigkeit handelt es sich um eine Tugend, die in der Welt geradezu verpönt ist und lächerlich gemacht wird, um derentwillen man eher verspottet als gelobt wird. Sie ist eine Tugend, von der schon Paulus im 2. Brief an Timotheus schreibt „Alle, die in Christus fromm leben wollen, müssen Verfolgung leiden.“ (2 Tim 3,12) In den Augen der Welt gilt der Fromme zwar als weltfremd, als einer, der den Boden der Wirklichkeit verlassen hat; tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Nicht der Fromme, sondern der Unfromme stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein. Die Tugend der Frömmigkeit ist ja gerade die Tugend, die das, was als wahr erkannt wurde, zur Tat werden lässt, verwirklicht. Es ist möglich, dass man die größten und schönsten Glaubenswahrheiten kennt, dass man Theologie studiert hat und fähig ist, auf höchstem Niveau über den Glauben zu sprechen, dass man aber gleichzeitig nicht die Kraft hat, den Glauben in die Tat umzusetzen und zu leben. In der Theorie ist alles klar, in der Praxis dagegen herrscht gähnende Leere. Demjenigen, der den Glauben zwar kennt, ihn studiert hat, aber nicht lebt, fehlt die Tugend der Frömmigkeit. Der fromme Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass sein Denken und Tun miteinander übereinstimmen und eine Einheit bilden. Die Frömmigkeit ist die Tugend, die Theorie und Praxis miteinander verbindet, zwischen ihnen gleichsam eine Brücke schlägt.

Wahre Frömmigkeit hat nichts mit Frömmlerei zu tun. Nicht der ist fromm, der durch übertriebene Andachtsformen auffällt und sich und andere dadurch lächerlich macht. Das alles hat nichts mit wahrer Frömmigkeit zu tun. Franz von Sales sagt: „Es gibt nur eine wahre Frömmigkeit, an falschen und irrigen Spielarten dagegen eine ganze Reihe.“ Und an anderer Stelle fügt er hinzu: „Alle Frömmigkeit, die sich nicht mit dem rechtmäßigen Beruf eines Menschen vereinen lässt, ist falsch.“ Der von wahrer Frömmigkeit durchdrungene Mensch ist ein Mensch, dem es gelingt, seinen Glauben und sein Leben miteinander zu verbinden. Franz von Sales stellt fest: „Echte Frömmigkeit verdirbt nichts; im Gegenteil, sie macht alles vollkommen … Die echte Frömmigkeit schadet keinem Beruf und keiner Arbeit, im Gegenteil, sie gibt ihnen Glanz und Schönheit … die Sorge für die Familie wird friedlicher, die Liebe zum Ehepartner echter, der Dienst am Vaterland treuer und jede Arbeit angenehmer und liebenswerter.“ Es gilt, den Glauben immer besser kennen zu lernen, ihn in wahrer Kontemplation zu verinnerlichen und schließlich, als Frucht dessen, durch die Tugend der Frömmigkeit in die Tat umzusetzen.

Gerade in den Sommermonaten, der Zeit der großen Ferien, sind diese Gedanken wichtig. Nicht nur der Leib, auch die Seele braucht Erholung. Auf keinen Fall sollten wir uns dazu verleiten lassen, in den Ferien ausschließlich die Zerstreuung zu suchen. Gerade die Ferienzeit bietet doch die Gelegenheit, mit der ganzen Familie wertvolle Tage in einem ausgeglichenen Miteinander von Aktion und Kontemplation zu verbringen. Jeder Ausflug und jede gemeinsame Unternehmung gewinnen an Wert, wenn man Gott den Herrn nicht ausklammert sondern ihm den Ehrenplatz zuweist. Es gilt, den Glauben ins alltägliche Leben zu integrieren. Die Ferienzeit ist eine besondere Gelegenheit dazu, die Freude am Glauben zu leben und zu vermitteln. Die große Herausforderung des Christentums besteht doch gerade darin, dass wir unser Leben nicht von unserem Glauben trennen, sondern mit ihm verbinden. Der gelebte Glaube bereichert alle unsere Unternehmungen. Er stiftet Sinn und schenkt uns wahre Freude. Wer den Glauben lebt, dessen Alltag gewinnt an Glanz und Schönheit. Nutzen wir also die Gelegenheit, in den Ferien auch innerlich gestärkt zu werden. Nutzen wir die Gelegenheit, die ganze Familie einmal wieder richtig auf Gott auszurichten. Wenn wir dem Herrn bei all unseren Unternehmungen den Ehrenplatz zuweisen, werden wir sehen, dass alle Unternehmungen, egal welcher Art sie auch sein mögen, an Glanz und Schönheit gewinnen. Der Herr nimmt uns nichts von dem, was das Leben schön und angenehm macht. Er nimmt nichts, sondern gibt alles! So wünsche ich Ihnen allen, dass die kommende Ferienzeit in diesem Sinne eine wertvolle, eine erfüllte Zeit gleichermaßen für die Seele wie für den Leib werde.