† Prof. Dr. Walter Hoeres verstorben

Weiter unten finden Sie die Predigt von P. Bernward Deneke FSSP zum Requiem für Prof. Hoeres.

Prof. Dr. Walter Hoeres ist am 14. Januar 2016 verstorben. Geboren am 6. Mai 1928 in Gladbeck, hatte er in Frankfurt Philosophie studiert und war 1951 bei Theodor W. Adorno mit einer Arbeit über Edmund Husserl promoviert worden. An der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg habilitierte sich Hoeres 1957 und wechselte nach dortiger Lehrtätigkeit im Jahr 1961 an die Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau, wo er bis zu seiner Emeritierung 1993 Philosophie lehrte. Sein Forschungsschwerpunkt lag im Bereich der Scholastik, insbesondere beim seligen Johannes Duns Scotus. Das Werk  des heiligen Thomas von Aquin war dabei ein steter Bezugspunkt seines Denkens, zugleich war der Einfluss der Phänomenologie unverkennbar.

Walter Hoeres war seit 1954 verheiratet und hatte mit seiner Frau Barbara drei Kinder. Er lebte in Frankfurt am Main. Neben seiner akademischen Tätigkeit war er immer auch publizistisch tätig. Von der journalistischen Arbeit für Zeitungen wie die Deutsche Tagespost und den Rheinischen Merkur in jungen Jahren und den  Veröffentlichungen in philosophischen Fachzeitschriften, aber auch in politisch-konservativen Organen wie Zeitbühne, Epoche und Criticón bis zu den zahlreichen Artikeln für Theologisches, Der Fels, Una Voce Korrespondenz und die Kirchliche Umschau (um nur die wichtigsten zu nennen) blieb das Schreiben eine Konstante in seinem Leben. Auch im Rundfunk wurden Vorträge von ihm gesendet; davon spricht die folgende Predigt. Herausgefordert durch die nachkonziliare Krise der Kirche, war Walter Hoeres eine der ersten und wichtigsten Stimmen innerhalb des deutschen Katholizismus, welche die Vorgänge beobachtete, analysierte und unmissverständlich kritisierte. Bereits 1969 gehörte Walter Hoeres zu den Mitbegründern der Bewegung für Papst und Kirche. Von 1978 bis 1988 unterrichtete er im Priesterseminar Herz Jesu der Priesterbruderschaft St. Pius X. Philosophie, von den frühen 90er Jahren bis 2014 dann in der Ausbildungsstätte der Priesterbruderschaft St. Petrus in Wigratzbad. Sein Einsatz für die überlieferte Glaubenslehre und Liturgie war von luzider Geisteskraft und herausragender Sprachmächtigkeit. Die Stellungnahmen, die sich mit der „Selbstzerstörung der Kirche“ (Papst Paul VI.) befassen, sind kaum überschaubar.

Zugleich blieb Hoeres bis ins hohe Alter auch als philosophischer Forscher und Denker aktiv. Davon zeugen die Buchveröffentlichungen der letzten Jahrzehnte: Offenheit und Distanz. Grundzüge einer phänomenologischen Anthropologie (1993); Wesenseinsicht und Transzendentalphilosophie. Thomas von Aquin zwischen Rahner und Kant (2001); Der Weg der Anschauung. Landschaft zwischen Ästhetik und Metaphysik (2005); Heimatlose Vernunft (2005); Gradatio entis. Sein als Teilhabe bei Duns Scotus und Franz Suárez (2012); Die Sehnsucht nach der Anschauung Gottes. Thomas von Aquin und Duns Scotus im Gespräch über Natur und Gnade (2016). Posthum, sozusagen als sein Vermächtnis ist folgendes Buch erschienen: Die verratene Gerechtigkeit: Nach dem Abschied von Gottes heiliger Majestät (2016).

 
 
 

Predigt von P. Bernward Deneke FSSP

zum Requiem am 26. Januar in der Deutschordenskirche zu Frankfurt am Main
 
Liebe Frau Hoeres, liebe Kinder und Enkelkinder unseres Verstorbenen,
liebe hochwürdige Mitbrüder, liebe Verwandte, Freunde und Bekannte, liebe Trauergemeinde!

Unvergesslich ist mir ein Tag im Jahr 1984. Damals hörte ich eine Kassette, die mir, einem  Gymnasiasten mit aufkeimendem Interesse an allem, was Glaube, katholisches und kirchliches Leben betrifft, eine freundliche Dame aus der Pfarrei gegeben hatte – gewiss nicht ohne Hintergedanken gegeben hatte. Auf dem Tonband war der Mitschnitt eines Rundfunkvortrags von einem mir bis dato völlig unbekannten Autor zu hören: „Abschied von Plato“. Eine ruhige, sonore Stimme erklärte, wie das große Erbe der antiken Philosophie, namentlich des Plato und des Aristoteles, mit der göttlichen Offenbarung eine Symbiose gebildet und das christliche Abendland geformt und geprägt habe.
Die Gesamtschau war überzeugend und herrlich. Nur hatte sie mit dem, was ein junger praktizierender Katholik in den Kirchen erlebte, herzlich wenig zu tun. Daher war das, was auf der Kassette über die Zerstörung dieser Synthese gesagt und beklagt wurde, für mich evident richtig. Zum ersten Mal vernahm ich da etwas über die nachkonziliare Krise der Kirche, über progressistische Theologie, über die Leugnung der Seele und den verdiesseitigten Gottesdienst. Ich hörte die Kassette immer wieder an, mit immer größerer Zustimmung. Und es entstand auch der Wunsch, jenen „Prof. Dr. Walter Hoeres“, der als Verfasser angegeben war, kennenzulernen.

Von der Zeit der ersten Begegnung trennen uns nun über 30 Jahre. Heute wird der Leichnam des Mannes zu Grabe getragen, der unentwegt von der menschlichen Geistseele und ihrer Bestimmung sprach und schrieb – zuletzt in seinem Buch „Die Sehnsucht nach der Anschauung Gottes“. Die Tatsache dieser Sehnsucht stimmt hoffnungsvoll. Doch gerade Walter Hoeres hat auch niemals unterschlagen, dass wir sündigen Menschen das himmlische Ziel nicht automatisch erreichen. Sein Artikel „Wiederkehr des Pelagianismus“ über die falsche Heilsgewissheit, der kurz nach seinem Tod erschien, kritisiert deutlich die praesumptio, diese „Untugend der Vermessenheit“ und „dreiste Vorwegnahme des Heils“, die in der „bewusste(n) Leugnung der heiligen und unter Umständen auch strafenden Gerechtigkeit“ Gottes liegt.

Wir täten dem Verstorbenen also keinen Dienst, wollten wir diese ernste Wahrheit ausklammern. Und doch sind wir, liebe Trauergemeinde, von der christlichen Hoffnung erfüllt, dass seine Seele, die Seele eines treu- und tiefgläubigen Katholiken, eines liebenden Ehemannes, Vaters und Großvaters, eines guten Freundes vieler, die Seele eines Kämpfers für Gott, für seine Wahrheit und sein Reich, zu der ersehnten beseligenden Anschauung des dreifaltigen Gottes gelangen wird. Darum beten wir. Und dafür bringen wir jetzt dem himmlischen Vater das Opfer seines menschgewordenen Sohnes Jesus Christus dar.

Dabei geht unser Blick zurück in die Vergangenheit, in die mit dem Verstorbenen verbrachte Zeit. Erlauben Sie mir noch einige Erinnerungen. Am 22. September 1985 begegnete ich ihm zum ersten Mal persönlich am Rande einer katholischen Glaubenskundgebung in Mainz. Ich war zunächst erstaunt, aus seinem Mund eine ganz andere Stimme zu vernehmen als die, die mir von der Kassette her so vertraut und die in Wahrheit die eines Rundfunksprechers war. Was ich nun hörte, hatte einen unverkennbar hessischen Klang. Da ich gerade an einem Schriftenstand das Buch erworben hatte, aus dem der Radiovortrag „Abschied von Plato“ stammte, konnte ich den Autor um ein Autogramm bitten. Er schrieb neben sein Bild und über seinen Namen die lateinischen Worte: In perpetuam rei memoriam, „zum steten Gedenken an die Sache“. Was mit „der Sache“ gemeint war und weiterhin gemeint ist, steht außer Zweifel. Es ist das große Anliegen seines Lebens, seines Leidens, seines Kämpfens: die Errettung der Kirche aus einer Situation, die er mit Papst Paul VI. als „Selbstzerstörung“ kennzeichnete.

Walter Hoeres sprach die „Sache“ immer wieder an, widmete ihr ungezählte Seiten in Büchern, Artikeln, Leserbriefen, schilderte sie in großen geistesgeschichtlichen Zusammenhängen ebenso wie an aktuellen Beispielen, nannte Ross und Reiter beim Namen. Schonungslos realistisch war seine Analyse. Daher erfüllte ihn eine tiefe Abneigung gegenüber allen Versuchen, den Ernst der Lage mit wohlfeilen Floskeln abzuwiegeln: „Es wird schon wieder werden“, „Gott lässt seine Kirche doch nicht im Stich“, „Die Kirche hat sich bisher aus allen Krisen erholt“ und „Es gibt ja auch so viel Gutes“. Treffend kennzeichnete er die Kirchenvertreter, die so reden, als „Beschwichtigungshofräte“. Es war unserem lieben Verstorbenen wichtig, dass ein derartiger Optimismus nicht mit der wahren Hoffnung verwechselt werde. Diese kann und muss unter gegebenen Umständen die Gestalt einer spes contra spem, einer „Hoffnung gegen jede (menschliche) Hoffnung“, annehmen. Sie ist überdies nicht ein Betäubungsmittel, sondern eine wahrhaft kämpferische Tugend.

Prof. Hoeres hat – bei allem scheinbaren Pessimismus – in dieser Hoffnung gelebt. Sie erklärt uns nicht zuletzt, weshalb ihm die beklagenswerten Zustände niemals seinen einzigartigen Humor rauben konnten; einen Humor, der diejenigen in Erstaunen versetzte, die ihn nur von seinen Schriften her gekannt hatten und dann persönlich trafen. Bei den Studenten des Priesterseminars in Wigratzbad, wo der Professor noch bis vor zwei Jahren einen großen Teil der Philosophievorlesungen stemmte, ist denn auch, neben der meisterhaften Fähigkeit plastisch-anschaulichen Erklärens abstrakter und hochkomplexer Sachverhalte, dieser Humor mit seinen hintergründigen, ironischen und schelmischen Facetten weiterhin legendär.

So sehr Walter Hoeres ein Streiter in des Wortes bestem Sinne war, so wenig war er doch ein Mann der hässlichen, rechthaberischen, kleinkarierten Gefechte, hinter deren scheinbarem Einsatz für die Wahrheit sich doch nur Ressentiment und menschlich-allzu-menschliche Befindlichkeiten verbergen. Ein Buch wie „Der Aufstand gegen die Ewigkeit“ bietet keine chronique scandaleuse der nachkonziliaren Wirren, sondern spricht über die „Welt als Spiegel und Gleichnis“ und als „Widerschein göttlicher Herrlichkeit“, über die „Angleichung an Gott“, über „Erkenntnis als liebende Teilnahme“ und „Wahrheit als Heil“, auch über „Liturgie als Schauspiel“, als „vollkommene Anbetung“ und als „Kontemplation“ (um nur einige Stichworte zu nennen).

Allein auf dem Hintergrund dieser katholischen Gesamtschau wird der – allerdings entschiedene und kompromisslose – Kampf des Verstorbenen verständlich, dieser Kampf für die philosophische Tradition, für die Glaubens- und Sittenlehre, für die überlieferungstreue Liturgie, für die sozialen und politischen Implikationen und Folgerungen des Glaubens – und daher notwendigerweise auch gegen diverse Modephilosophien, gegen die Uminterpretation des Glaubens, gegen die Abschwächung der sittlichen Anforderungen, gegen die Horizontalisierung und Verschandelung des Kultes, gegen Anpassung und Anschluss der Kirche an gesellschaftliche Entwicklungen, die ihrer Sendung diametral entgegengesetzt sind.

Das allzu vordergründige Bild des wortgewaltigen Kritikers darf uns auf keinen Fall den tief- und feinsinnigen Philosophen, den Freund der Weisheit verdecken, der sich auf ausgedehnten, einsamen Wanderungen zugleich auf den „Weg der Anschauung“ – so einer seiner Buchtitel – begab und über „Landschaft zwischen Ästhetik und Metaphysik“ -  so der dazugehörige Untertitel – nachdachte. Nicht in Vergessenheit geraten soll sein Bemühen, gegenüber neuzeitlichen, subjektivistisch einengenden Erkenntnistheorien die grenzenlose Offenheit der menschlichen Seele für die Wirklichkeit selbst herauszustellen. Und entgleiten darf uns nicht das Bild des homo religiosus, der nicht nur eindringlich über die Heiligkeit Gottes sprach, sondern ihm auch beständig nahte in Gebet und Betrachtung, in der heiligen Messe und in der Verehrung der Heiligen, allen voran der Gottesmutter; sie rief er vor den Philosophievorlesungen für die Priesteramtskandidaten stets mit Anrufungen der (von ihm in lateinischer Sprache auswendig gekonnten) Lauretanischen Litanei an.

Von dem kurzen Rückblick kehren wir zurück in diese Stunde. Den Verlust eines großen Menschen erfahren wir umso schmerzlicher, je mehr und inniger wir mit ihm verbunden waren. Vor allem seine Frau, mit der er über 52 Jahre hin eine glückliche Ehe führte und von der er immer mit so viel Liebe sprach, seine drei Kinder und seine Enkelkinder werden das erfahren und bedürfen des Trostes, den Gott durch seine Gnade und auch durch andere Menschen geben will und wird. Mit der Familie verbinden wir alle uns im Gebet für die Seele des Verstorbenen, dass sich für ihn nun die Sehnsucht nach letzter Erfüllung, nach der Anschauung Gottes in liebender Erkenntnis und erkennender Liebe von Angesicht zu Angesicht erfülle. Denn „was kein Auge gesehen, was kein Ohr vernommen und was in keines Menschen Herz gedrungen ist, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.“ (1 Kor 2,9) - Requiescat in pace!